Der weiße Klang der Wellen: Roman (German Edition)
Kleidern auf dem Bett vor sich hin, bis die
Ibisse ihn weckten. Eigentlich hatte er schlafen wollen, weil er die langen
Nachmittagsstunden nicht ertrug, die sich endlos hinzuziehen schienen, bis es
an der Zeit wäre, mit Regina in den Escort zu steigen und zum Empfang in die
amerikanische Botschaft zu fahren. Er hatte versucht zu schreiben, aber ohne
Erfolg. Seine Gedanken waren zu sehr von anderen Dingen in Anspruch genommen,
und seine Nerven lagen bloß, nachdem er aus der Stadt zurückgekommen war, wo er
am Schwarzen Brett im Thorn Tree nach einer Nachricht von Gabrielle an Roger
gesucht hatte. ›Mein Liebling‹, hatte sie geschrieben, und ein freudiger
Schauer durchlief ihn bei dem Kosewort, obwohl er wußte, daß es nur eine Pose
in Verbindung mit dem Namen Gabrielle war, ein kleiner Spaß, wenn in einer
solch verzweifelten Situation überhaupt an Spaß zu denken war. Ein schwacher,
magerer Scherz. Gab es Menschen, fragte er sich, die echten, mehr oder weniger
anhaltenden Spaß hatten, wenn sie sich verliebten? Ihm schien das unmöglich zu
sein, die ganze Angelegenheit war zu belastet, um die nötige Lockerheit
aufkommen zu lassen, die man dazu braucht. ›Mein Liebling‹, hatte sie
geschrieben, ›ich zähle die Stunden, bis ich Dich heute abend sehe. Allein der
Gedanke ist verrückt. Aber ich werde dort sein. Deine Gabrielle.‹
Und er hatte geschrieben: ›Mein Liebling Gabrielle. Nie hat ein Mann
eine Frau mehr geliebt. Roger.‹
Die Hunde aus dem großen Haus, Gypsy und Torca, schliefen in der Küche,
wie sie es oft taten. Auch heute hatte Regina Knochen für sie gekocht, sie
hereingelassen und ihnen in der Ecke einen Schlafplatz zurechtgemacht –
wahrscheinlich aus fehlgeleitetem Mutterinstinkt. Obwohl Thomas die Hunde
mochte und zugeben mußte, daß die Keefes, die Besitzer des großen Hauses, sich
ihren Tieren gegenüber ziemlich gleichgültig verhielten. Die Hunde genossen es,
verwöhnt zu werden, wie jeder es genoß. Durchs Fenster sah Thomas, daß Michael
müßig auf einem Felsbrocken saß und gegartes Fleisch aß, das er gerade
ausgewickelt hatte. Das Gras war braun, die Bäume hatten die Blätter
abgeworfen, es gab nichts zu tun für einen Gärtner. Das ganze Land wartete auf
Regen.
Thomas drehte den Wasserhahn in der Küche auf (er wollte sich eine
Tasse Tee machen), und ein Dutzend Ameisen fielen heraus, die in dem Wasserfall
ertranken. Während der Trockenzeit gab es immer zu viele Ameisen. Sie
belästigten die Hunde, wenn sie unter den Bäumen schlafen wollten, und
manchmal, wenn er ins Badezimmer kam, sah er eine kleine Ameisenkolonne, von
Regina mit dem Daumen zerquetscht. Wo war Regina? Es war unüblich, daß sie so
spät nach Hause kam. Schließlich war sie dafür bekannt, daß sie eineinhalb
Stunden brauchte, um sich für eine Dinnerparty zurechtzumachen.
Überhaupt legte Regina in letzter Zeit ein irritierendes Verhalten
an den Tag. Obwohl sie normalerweise keine verwirrende oder komplizierte Person
war, wirkte sie plötzlich leichter, als hätte sie abgenommen oder gelernt zu
schweben. Ihre Stimme klang jetzt fast aufgekratzt, selbst dann, als sie
während eines Streits um die Frage, ob es klug sei, Ndegwas Fall öffentlich zu
unterstützen, gesagt hatte: ›Mach doch, was du willst. Das hast du doch immer
getan.‹ Was Thomas veranlaßte, sich aufrichtig zu fragen, ob das stimmte. Die
Frage kam ihm plötzlich so interessant vor, als hätte er entdeckt, daß jemand
einen Film über sein Leben gedreht hatte und ihn nun einlud, ihn sich
anzusehen. Denn er hatte den Eindruck, daß er meistens daran gehindert worden
war, das zu tun, was er wollte. Wenngleich er auch nicht richtig wußte, was er
gern getan hätte.
Er breitete seine Kleidung auf dem Bett aus. Heute abend würde er
sich mit Sorgfalt kleiden. Er hatte sich für den Anlaß einen Anzug gekauft –
einen grauen Anzug und ein weißes Hemd –, nachdem er festgestellt hatte, daß
sein gewaschener und an der Leine getrockneter Blazer für einen Gala-Empfang
nicht mehr gut genug war. Er hatte keine Ahnung, was er zu Kennedy, diesem
gestürzten Heiligen, sagen sollte. Ein Mann, der trotz all seiner Prozesse und
Bedrängnisse nur um so eindrucksvoller wirkte, weit interessanter, als er ohne
das alles gewesen wäre, trotz seines eindrucksvollen Erbes. Kennedy würde sich
nicht an ihn erinnern; Thomas war erst achtzehn oder neunzehn gewesen, als er ihn
kennenlernte. Es war nach Jacks Tod – auch Robert war schon tot –, als
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