Der weiße Klang der Wellen: Roman (German Edition)
beugt sich herunter und späht zu Linda hinein, als
versuche er, sie einzuordnen. »Alles in Ordnung, Miss?« fragt er.
»Ja«, antwortet sie gedemütigt.
Der Polizist richtet sich auf. »Fahren Sie weiter«, sagt er brüsk zu
Thomas. »Höchste Zeit, daß ihr beide heimkommt.«
Sein Ton ist jetzt väterlich, was Thomas unendlich erbost, wie sie
weiß. Inständig hofft sie, daß er den Mund hält. Thomas kurbelt das Fenster
hoch, und der Polizist geht zu seinem Wagen.
Thomas und Linda bleiben schweigend im Skylark sitzen und warten,
daß der Streifenwagen wegfährt. Nachdem er fort ist, legt Thomas den Kopf an
die Lehne und bedeckt das Gesicht mit den Händen. »Mist«, sagt er, aber sie
sieht, daß er lächelt.
»Das mußte ja passieren«, sagt sie.
»Ich kann nicht glauben, daß er meinen Vater kennt«, stößt Thomas hervor
und beginnt hysterisch zu kichern.
»Du warst schrecklich höflich«, sagt Linda.
Auf dem Weg zum Badezimmer, der sie an ihrer Tante vorbeiführt,
denkt Linda an Thomas. Im Klassenzimmer oder wenn sie einem Gast die
Speisekarte reicht, denkt Linda an Thomas. Zwischen den Schulstunden stecken
sie sich Briefchen zu oder gehen um eine Ecke, um sich zu küssen. Jeden Morgen
wartet er auf sie, wenn sie die Straße herunterkommt, und wenn sie im Skylark
sitzt, rückt sie so nahe wie möglich an Thomas heran, so daß der große Abstand
jetzt auf der anderen Seite ist. Sie knausern mit jeder gemeinsamen Minute und
kommen immer zu spät.
Linda,
kannst du mich nach der Schule treffen?
Thomas,
ich habe O’Neill noch einmal gelesen. Dort gibt
es folgende Passage: »Niemand kann etwas für die Dinge, die das Leben uns
angetan hat. Sie geschehen, bevor du es bemerkst, und sobald sie geschehen
sind, zwingen sie dich, andere Dinge zu tun, bis dies alles schließlich
zwischen dir und dem steht, was du sein möchtest, und dein wahres Selbst für
immer verloren ist.«
Linda,
ich mag O’Neill, aber das ist Blödsinn. Natürlich
können wir uns gegen die Dinge wehren, die das Leben uns angetan hat. Ich ziehe
folgende Passage vor: »Ich war trunken von der Schönheit und sang im
Gleichklang mit ihrem Rhythmus, und einen Moment lang verlor ich mich selbst –
ja, ich verlor mein ganzes Leben. Ich war frei! Ich löste mich im Meer auf,
wurde zu weißen Segeln und sprühender Gischt, wurde Schönheit und Rhythmus,
wurde Mondlicht, Schiff und der hohe dunkle besternte Himmel! Ohne
Vergangenheit und Zukunft gehörte ich, von Frieden und Einheit und einer wilden
Freude erfüllt, etwas Größerem an als meinem Leben oder dem menschlichen Leben
überhaupt, nämlich dem Leben selbst!«
Besser, nicht?
Mein Gott ist diese Stunde langweilig.
Linda,
mir gefällt der Pullover, den du heute anhast. Du
machst mich total verrückt.
Thomas,
danke. Er gehört Eileen.
Linda,
was machst du am Wochenende? Ich muß zum
Skifahren nach Killington. Ich habe keine Lust dazu, weil es bedeutet, vier
Tage von dir getrennt zu sein. Was geschieht überhaupt mit mir?
Thomas,
ich muß das ganze Wochenende arbeiten. Ich habe
noch nie auf Skiern gestanden.
Linda,
heute abend ist ein Eishockey-Spiel. Kommst du?
Linda findet das Eishockey-Spiel brutal und primitiv. Die Halle
stinkt nach Schweiß und Bier. Der Boden ist schmierig. Die Hände in die Taschen
gesteckt, sitzt sie in ihrem Armeemantel mit einem Pullover darunter auf der
Tribüne und fröstelt dennoch.
Der Lärm ist ohrenbetäubend. Schreie und Rufe, betrunkenes
Geplapper, die Schläge auf den Puck und das schabende Geräusch der Kufen auf
dem Eis hallen durch das höhlenartige Stadion. Man glaubt Geräusche
wahrzunehmen, die in Wirklichkeit gar nicht zu hören sind: ein Schläger, der
auf eine Wade trifft, der dumpfe Aufprall eines Hüftknochens, wenn ein Spieler
hinfällt, das Krachen eines Helms, der heftig auf dem Eis aufschlägt. Immer
wieder zuckt sie zusammen. All dies wird von der Menge verschluckt.
Sie erkennt Thomas nicht, als er aufs Eis hinauskommt. Die Polsterung
läßt seine Schultern und Beine riesenhaft erscheinen. Seine Zähne sind hinter
dem Mundschutz, die Umrisse seines Kopfes unter dem Helm verborgen. Es ist eine
Seite an Thomas, die sie an ihm noch nicht kennt, auch nicht vermutet hätte:
leicht in der Hocke wippend, mit vorgestrecktem Schläger nach vorn gebeugt,
seine Bewegungen so fließend wie die einer Ballerina, so flink und geschickt
wie ein Step-Tänzer. Thomas spielt aggressiv. Sie hat Mühe, dem Spiel zu
folgen, und kennt die
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