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Der weiße Klang der Wellen: Roman (German Edition)

Der weiße Klang der Wellen: Roman (German Edition)

Titel: Der weiße Klang der Wellen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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Du wolltest
verletzen.«
    »Wen?« fragte sie scharf. »Mich? Regina?«
    »Regina natürlich.«
    Aber sie hatte niemanden verletzen wollen; sie hatte nur vermitteln
wollen, was ihr als große Wahrheit erschien, die auf ihre Art genauso gewaltig
war wie das Lachen, das sie Jahre später erbeben lassen sollte. Daß sie damals
so entsetzlich grausam war, hatte sie immer schockiert.
    »Es war der selbstsüchtigste Moment in meinem Leben, Thomas. Ich
kann mir nur vorstellen, daß ich damals wünschte, es wäre vorbei. Alles.«
    »Verzeih mir«, sagte er. »Natürlich bin ich genauso schuld wie alle
anderen.«
    Ihr Gesicht brannte, als sie sich an den furchtbaren Abend
erinnerte. »Es ist schwer zu glauben, daß etwas so viel Bedeutung gehabt haben
konnte«, sagte sie.
    Sie hatte Scotch pur getrunken. An einer Wand hatte Peter gestanden,
ohne zunächst zu verstehen, was der ganze Aufruhr sollte, aber wohl wissend,
daß Worte gefallen waren, die nicht wiedergutzumachen waren. Er schien damals
ein Nebendarsteller zu sein, nur Zeuge eines größeren Dramas. Auch das war
unverzeihlich gewesen von ihr. Nicht erkannt zu haben, wie beschämt er war. Wie
anständig es von ihm war, sich nicht selbst zum Mittelpunkt zu machen. Bis er
später in der Nacht in der Abgeschiedenheit des Hotelzimmers wegen ihres
Betrugs, der so absolut, so öffentlich war, geweint hatte. Und sie saß stumm
neben ihm und spürte nur Entsetzen, weil sie ihren Liebhaber verloren hatte.
    Es war besser, sich nicht zu erinnern.
    »Ein Komödienschriftsteller würde eine Farce daraus machen«, sagte
Thomas. »Die Geständnisse in verschiedenen Zimmern und so weiter.«
    »Der Komödienschreiber wäre vielleicht kein Katholik«, sagte sie.
    Sie folgten einem Weg, der durch niedriges Gebüsch führte. Die
Katen waren mit Brettern vernagelt und warteten darauf, daß ihre Besitzer im
Sommer zurückkehrten. Auf der Insel waren Autos verboten, und sie fragte sich,
wie man die Häuser gebaut hatte. Waren Wände, Kacheln und Kamine auf Schiffen
herübertransportiert worden?
    »Inseln erinnern mich immer an die Isles of Shoals«, sagte Thomas.
»Ein höllischer Ort.«
    Es dauerte einen Moment, bis sie sich erinnerte und verstand. Die
Erkenntnis ließ sie stehenbleiben.
    Er drehte sich um, um zu sehen, wo sie geblieben war. »Es spielt
keine Rolle mehr. Ich war inzwischen viele Male wieder dort.«
    Es war tapfer, dachte sie, fähig zu sein, dem Schlimmsten ins Auge
zu sehen. Gab es ein Grab dort, einen Grabstein? Wie war ein solcher Anblick zu
ertragen?
    »Was ist mit Regina geschehen?« fragte sie beim Weitergehen.
    »Sie ist jetzt in Auckland und hat zwei Kinder.«
    »Auckland, Neuseeland?«
    »Wir schreiben uns gelegentlich. Sie arbeitet für eine
pharmazeutische Firma.«
    Die Unterschiedlichkeit der Themen, die Last des Unheilvollen und
die Leichtigkeit des Plaudertons lösten bei Linda leichtes Schwindelgefühl aus.
    »Ihr Mann hat eine Schaffarm«, fügte Thomas hinzu.
    »Also sind keine bleibenden Narben zurückgeblieben.«
    Thomas krempelte die Hemdsärmel hoch. »Nun, wer weiß?«
    Sie blieben vor einem kleinen weißen Haus mit leuchtendblauen Läden
stehen, das jetzt ein Teehaus war für diejenigen, die zu Fuß über die Insel
wanderten. Linda, die überrascht war, daß sie und Thomas so weit gegangen
waren, schwitzte unter ihrer seidigen Bluse; bei der für die Jahreszeit
ungewöhnlichen Hitze erwies sich das synthetische Material als nicht besonders
günstig. Sie zog die Bluse aus dem Bund und ließ sie locker über die Jeans
fallen. Sie spürte eine kühle Brise um die Taille. Ihr Haar klebte im Nacken
zusammen, und sie löste es mit einer schwungvollen Handbewegung.
    »Hungrig?« fragte Thomas.
    Zur Wahl stand ein Tisch mit Tischtuch im Innern des Lokals oder ein
roher Holztisch draußen. Sie nahmen letzteren und beschwerten die Servietten
mit Gläsern und einer Ketchupflasche. Sie saßen nebeneinander und sahen aufs
Wasser hinaus, das glänzte, abgesehen von den Schatten, die ein paar harmlos
wirkende Wolken warfen. Thomas rückte näher zu ihr, entweder absichtlich oder
weil er kein Gespür für Privatsphäre hatte. Ihre Arme berührten sich da und
dort, an den Ellbogen, an den Schultern, eine Nähe, die sie sehr verwirrte. Sie
sah das Innere eines Wagens vor sich, eines Buick Skylark Cabrios mit roter
Lederausstattung. Sie konnte nicht sagen, in welchem Jahr es war. Das Verdeck
war geschlossen, die Fenster waren beschlagen, und ein Polizist leuchtete

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