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Der weiße Klang der Wellen: Roman (German Edition)

Der weiße Klang der Wellen: Roman (German Edition)

Titel: Der weiße Klang der Wellen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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oder sie gefährlich ist?«
    Linda dachte einen Moment nach. Nur sie selbst war so gewesen, vor
Jahren.
    »Ich glaube inzwischen, daß Adaline eine Art Katalysator war. Für
irgendeine teuflische Sache, die sich gegen uns drei richtete – gegen mich,
Jean und Rich.« Thomas schwieg einen Moment. »Eigentlich hat mich Adaline an
dich erinnert. Sie sah so aus wie du in Afrika. Ich hatte dich seitdem nicht
mehr getroffen, also warst du in meiner Erinnerung noch dieselbe Person wie
damals. Und unheimlicherweise trug auch sie ein Kreuz.« Er legte die Finger
aneinander, während er sich erinnerte. »Ich konnte den Blick nicht von ihr
wenden. Und sie kannte meine Gedichte. Und sagte sehr schmeichelhafte Dinge
darüber. Und vor Schmeicheleien war ich noch nie gefeit.«
    »Das ist keiner.«
    »Jean hat das alles bemerkt – es war ja auch nicht zu übersehen –,
und es quälte sie natürlich, wie es jeden gequält hätte. Ich glaube nicht, daß
Jean von Haus aus besonders eifersüchtig war. Bloß auf dem Boot war dem nicht
aus dem Weg zu gehen. Was auch passierte auf dem Boot, man mußte damit leben.
Es fand direkt vor deinen Augen statt, Stunde für Stunde.«
    »Und Rich hat es auch gesehen?« fragte Linda ruhig.
    »Davon muß ich ausgehen. Warum sonst hätte er vorgehabt, auf dieser
Fahrt meine Frau zu vögeln? Jean und er kannten sich schon seit Jahren. Ich
glaube nicht, daß vorher etwas zwischen ihnen war.« Thomas’ Blick war nach
innen gerichtet, durchforstete die Vergangenheit. »Nein, sicher nicht. Das
hätte ich gespürt, glaube ich jedenfalls.«
    Linda nickte.
    »Zwischen allen herrschte angespannte Stimmung. Und Jean und ich …«
Er wandte kurz den Blick ab. »Zu sagen, wir hätten Probleme gehabt, klingt
banal. Und das war es, es war banal. Aber es waren keine Probleme, die man
hätte definieren, für die man eine Lösung hätte finden können, um dann
weiterzumachen. Nein, es war eher so, daß unsere ganze Ehe aus den Fugen
geriet.«
    Thomas seufzte.
    »Also, was soll man tun? Man hat eine wundervolle fünfjährige
Tochter. Man kommt einigermaßen miteinander aus. Es gibt keine nennenswerten
Krisen. Gibt man eine Ehe auf, weil man das vage Gefühl hat, daß etwas nicht in
Ordnung ist? Und natürlich weiß man nicht sicher, ob die Ehe unwiderruflich
zerbrochen ist. Ein Teil in einem gibt die Hoffnung nicht auf, daß es sich
wieder kitten ließe.«
    »Wie meinst du das?«
    »Verstehst du? Das ist ja genau das Problem. In jeder Ehe arbeitet
man immer auf etwas hin, aber man ist nie sicher, wann man es erreicht hat. Ob
man es schon erreicht hat. ›Gibt es noch mehr?‹ fragt man sich ständig.«
    Er zog seine Krawatte unter dem Kragen heraus, faltete sie zusammen und
legte sie auf die Sessellehne. »Jean und ich schliefen nicht miteinander. Das
hatten wir ohnehin nicht oft getan. Also mußten wir uns auch noch damit
auseinandersetzen, weil wir von allen Seiten damit konfrontiert wurden. Mit
Sex. Am Morgen konnte man Rich und Adaline in der vorderen Kabine vögeln hören.
Das habe ich ja schon gesagt.«
    Vögeln war ein so ordinäres Wort, dachte
Linda. Er mußte noch immer eine gehörige Wut haben. Er klang verbittert.
    »Ich weiß, Jean war jahrelang der Meinung, ich hätte sie benutzt.
Gleich nachdem ich sie kennengelernt habe, gab es diese unheimliche Periode,
als ich nach einer langen fruchtlosen Phase wieder zu schreiben anfing.
Jahrelang hatte ich mich mit Schreibblockaden herumgeschlagen. Jean dachte, ich
bliebe deshalb bei ihr, weil sie eine Art Muse für mich sei. Ich war nie in der
Lage, sie von dieser Vorstellung abzubringen.« Er strich sich über das Haar,
das sich offenbar noch immer ungewohnt anfühlte. »Und alles wurde noch
komplizierter durch die Tatsache, daß ich ihr gleich am Anfang – bevor ich Jean
richtig kannte und wußte, daß wir heiraten würden – von dir erzählt habe. Sie
wußte, daß ich dich liebte.« Er holte Atem. »Das war ein Problem.«
    Linda verschränkte die Arme über der Brust. Warum beunruhigte sie
das Wissen darum so sehr?
    »Wie löst man diese Unbekannte in der Gleichung?« fragte Thomas.
»Wie löst man ein solches Problem?«
    Linda atmete langsam und gleichmäßig. Der Raum war kalt, und sie
rieb sich die Arme.
    »Am zweiten Tag, als wir dort angekommen waren, fuhren Jean und Rich
zu der Insel, wo die Morde geschehen waren. Wir gingen direkt vor der Insel vor
Anker – sie hatte einen phantasievollen Namen: Smuttynose –, und Adaline und
ich blieben allein

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