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Der weiße Klang der Wellen: Roman (German Edition)

Der weiße Klang der Wellen: Roman (German Edition)

Titel: Der weiße Klang der Wellen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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so
etwas zu sagen. Ich würde sterben, wenn ich mir vorstellen müßte, jemandem so
wenig bedeutet zu haben, mit dem ich einmal verheiratet war.«
    Thomas schwieg. Vielleicht unterdrückte er mühsam die Frage, ob sie
sich an ihre gemeinsamen Nächte erinnerte.
    »Weißt du, daß wir nur viermal miteinander geschlafen haben?« fragte
Thomas. »In all den Jahren. Viermal.«
    »Genaugenommen«, sagte sie.
    »Rich hat meine Frau gevögelt. Das habe ich durchs Fernglas gesehen.
Er hat behauptet, es sei nicht wahr, aber ich habe ihm nie geglaubt. Das war
all die Jahre eine quälende Frage zwischen uns. Wenn ich recht habe, könnte ich
ihm nie verzeihen, und das weiß er. Wenn ich unrecht habe, wird er mir nie
verzeihen, daß ich ihn zu so etwas fähig halte. Wie auch immer, die Lage ist
ziemlich verfahren zwischen uns.«
    Sie wartete, daß Thomas mehr über Rich sagte, aber er schwieg. Sie
bemerkte, daß Thomas’ Lippen ein wenig stärker zusammengepreßt waren, was ihn
argwöhnischer aussehen ließ. Sie fragte sich: Gab es so etwas wie menschlichen
Anstand?
    »Danke für den Drink«, sagte sie. »Aber ich muß in mein Zimmer
zurück. Ich mache mir Sorgen um meinen Sohn. Sein Freund bringt ihn heute abend
in eine Klinik, falls Marcus einverstanden ist.« Sie schwieg einen Moment.
»Mein Sohn ist schwul.«
    Thomas wirkte nicht schockiert, sondern fast ein bißchen ermattet angesichts
der Eröffnung, als wären diese Neuigkeiten zuviel, um ertragen zu werden. »War
das schwierig für dich?«
    »Das? Nein. Nicht wirklich.« Sie glitt vom Barhocker herunter. »Aber
das andere wird schwierig sein.«
    Es gab keinerlei Nachricht. Als Linda Marcus’ Nummer wählte,
sagte eine Stimme, Davids Stimme: »Sie sind mit dem glücklichen Heim von David
Shulman und Marcus Bertollini verbunden.« Linda zuckte zusammen vor Scham für
Marcus.
    »Das könnte heißen, daß sie auf dem Weg nach Brattleboro sind«,
erklärte sie Thomas, der sich in einen Sessel in der Ecke des Zimmers gesetzt
hatte. Sie legte sich ein Kissen in den Rücken, streckte die Beine auf dem
Bettüberwurf aus und streifte die Schuhe ab.
    »Was ist eigentlich aus Donny T. geworden«, fragte sie plötzlich.
    »Wie kommst du jetzt auf Donny?«
    »Ich weiß nicht. Er stand immer auf der Kippe.«
    »Zum Unheil, meinst du.«
    »Oder zum großen Erfolg.«
    »Es war der Erfolg. Er ist eine Art Banker und millionenschwer.
Inzwischen wahrscheinlich Milliardär.«
    Linda lächelte und schüttelte langsam den Kopf. Sie dachte an Donny
T. auf dem Rücksitz von Eddie Merullos Bonneville, wo er im trüben Licht einer
einzelnen Laterne am Pier Dollarnoten zählte. Vielleicht war es nicht das
Risiko gewesen, das all die Jahre die Attraktion ausgemacht hatte. Sondern
einfach nur das Geld.
    »Ich möchte dir von Billie erzählen«, sagte Thomas, was sie
überraschte, bis sie ihn ansah und spürte, daß ihm die ganze Zeit nichts
anderes durch den Kopf gegangen war. Und sie dachte, daß dieses Bedürfnis, die Geschichte
immer wieder zu erzählen, vermutlich nicht so verschieden war von dem einer
Frau, die ein Kind geboren hatte und jedem, der es hören wollte, in allen
Einzelheiten von dieser Tortur erzählte. Sie selbst hatte es genauso gemacht.
    »Ich spiele es im Kopf immer und immer wieder durch«, begann Thomas.
»Ich stelle mir immer vor, wenn ich nur hineingreifen und ein winziges Detail
erhaschen würde, nur eine einzige Tatsache, könnte ich ganz leicht alles
ändern.« Thomas rutschte in seinem Sessel nach unten und stellte die Füße auf
den Bettrand, benutzte ihn als Schemel. »Es war von vornherein ein
Schwindelauftrag. Jean war vom Globe engagiert
worden, Fotos von einem Ort zu machen, an dem vor mehr als hundert Jahren zwei
Frauen ermordet wurden. 1873. Auf den Isles of Shoals. Kennst du sie?«
    Linda nickte. »Ich war allerdings nie dort.«
    »Rich hatte diese Idee, daß wir Jeans Auftrag, da Sommer war, mit
ein bißchen Ferien verbinden könnten. Zu den Inseln hinaufsegeln und um sie
herum, vielleicht bis nach Maine hinauf.« Thomas schwieg einen Moment. »Ich
hasse Segeln. Es war immer Richs Sache.« Thomas schüttelte den Kopf. »Er hatte
eine Frau mitgebracht, eine Frau, mit der er ausging und die ich ein paar
Monate zuvor auf einer Party kennengelernt hatte. Sie hieß Adaline, und sie war
sehr nett – tatsächlich war sie ganz reizend –, aber vielleicht, ganz
unbeabsichtigt, war sie auch gefährlich. Hast du je bei einem Menschen so ein
Gefühl gehabt? Daß er

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