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Der weiße Klang der Wellen: Roman (German Edition)

Der weiße Klang der Wellen: Roman (German Edition)

Titel: Der weiße Klang der Wellen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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teilnahmslos auf dem heißen schwarzen Teerboden. Eine Frau
hatte sich das Kleid über den Kopf gezogen und war von der Taille abwärts
nackt. Nach der Führung tranken sie mit ihrem Gastgeber in einem Raum, der mit
englischen Antiquitäten möbliert war, aus zarten Elfenbeintassen Tee. Es ging
reserviert und formell zu, und die Unterhaltung war von Pausen peinlichen
Schweigens bestimmt. Selbst Regina war schweigsam geworden, niedergeschlagen
von dem Ausmaß des Elends und verblüfft von der überheblichen Gleichgültigkeit
des Leiters. Als sie nach Hause kamen, krochen sie ins Bett, beide zu
erschöpft, um zu sprechen. Beide konnten sie tagelang nichts essen.
    Thomas sah sich auf dem Markt nach seiner Frau um und fühlte sich
schuldig, aber erleichtert, als er sie nicht entdeckte. Er sah auf seine Uhr.
Er würde das Obst zum Wagen bringen und dann im New Stanley auf einen Drink
vorbeischauen. Die Sonne blendete, und er suchte nach seiner Sonnenbrille. Ein
weiterer perfekter Tag mit blauem Himmel und weißen Wattewölkchen. Der Junge
auf dem Parkplatz, den er beauftragt hatte, seinen Wagen zu bewachen, saß auf
der Stoßstange des Escort. Die kleinen Parkwächter hatten eine ähnliche Wirkung
wie Abwehrraketen: Man gab ihnen ein paar Shilling, und sie bewachten den Wagen
als ein Zeichen für Diebe (in dem Fall andere Diebe), sich fernzuhalten.
Verweigerte man ihnen das Geld, standen sie neben dem Wagen als eine Art Beweis
für dessen Verfügbarkeit.
    Er gab dem Jungen eine Zehnshillingnote für eine weitere Stunde.
Billiger als eine Parkuhr, wenn man es bedachte. Er kaufte eine Zeitung bei
einem Händler auf dem Markt und warf einen Blick auf die Schlagzeile. MP ZUM TRAGEN EINER HOSE BEI DEBATTE GEZWUNGEN . Er würde
einen Drink nehmen, sich nicht länger als fünfzehn Minuten aufhalten, und dann
auf dem Rückweg ein Pfund Cashew-Nüsse für Regina kaufen. Gemeinsam würden sie
für den Rest des Wochenendes nach Hause fahren.
    Er hatte nicht glauben wollen, daß Kenia gefährlich war, und sich
während der Trainingssitzungen, die sich aufs Überleben konzentrierten, als wären
Thomas und Regina Soldaten in einem Guerillakrieg, gegen den Gedanken
gesträubt. Aber genau das waren sie – Soldaten in diesem besonderen Krieg, der
aus Armut und nicht aus politischen Verwicklungen entstanden war. Der
Unterschied zwischen Arm und Reich war so groß in diesem Land, daß Reisende
gelegentlich mit Macheten erschlagen wurden. Askaris, grau uniformierte
Polizisten, hielten Wache vor den Auffahrten der Europäer. Touristen wurden auf
Straßen und in Bussen so oft ausgeraubt, daß der Witz über den Beitrag zum
Bruttosozialprodukt allmählich schal wurde. Korruption zog sich durch alle
Stufen der Regierung und blühte an der Spitze. Thomas hatte das damals nicht
geglaubt, jetzt allerdings schon. Er war bereits siebenmal ausgeraubt worden,
zweimal hatte man ihm den Wagen gestohlen. Einmal wurde das ganze Inventar
seines Hauses gestohlen, sogar die Vorhänge und die Telefonschnur. Regina war
niedergeschmettert, weil sie ihr Maridadi-Tuch und ihre Kisii-Skulptur verloren
hatte, und er wegen seiner Gedichte, bis er feststellte, daß er jedes einzelne
auswendig wußte.
    Tragen Sie nie einen Rucksack, hieß es bei den Trainingssitzungen.
Bleiben Sie nie an einer Kreuzung stehen, um auf eine Karte zu sehen (weil Sie
das sofort als Touristen ausweist). Tragen Sie nie Schmuck oder schicke
Sonnenbrillen. Sehen Sie so arm aus wie möglich. Was Thomas nicht schwerfiel,
der jeden Tag eine Khaki-Hose und ein weißes Hemd trug – außer dienstags, wenn
Mama Kariuki kam und in der Badewanne die Wäsche wusch. Und wenn Ihnen die
Brieftasche oder die Handtasche gestohlen wird, rufen Sie auf keinen Fall
»Haltet den Dieb!«. Der Verdächtige werde sonst von den übrigen Kenianern
gejagt und, falls sie ihn fangen, zu Tode geprügelt – schreckliche Auswüchse
einer Lynchjustiz vor einer größtenteils teilnahmslosen Menge, wie sie Thomas
mehr als einmal hilflos mit ansehen mußte.
    Er nahm im Thorn Tree Platz, dem Straßencafé des New-Stanley-Hotels
und bestellte ein Tusker-Bier. Er schlug die Zeitung auf und warf erneut einen
Blick hinein. MALARIA-WELLE IN NÖRDLICHEN PROVINZEN.
KILLERLÖWE ZERFLEISCHT PARTEICHEF . Er überflog einen Artikel über
Landstreitigkeiten. Er sah das Wort Bruder in einem
Artikel über einen Luo-Geschäftsmann, der von seinem Bruder ermordet worden
war, und erinnerte sich an seinen eigenen Bruder Rich und die Tatsache,

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