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Der weiße Klang der Wellen: Roman (German Edition)

Der weiße Klang der Wellen: Roman (German Edition)

Titel: Der weiße Klang der Wellen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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daß er
in einem Monat zu Besuch käme. Sie würden zusammen auf eine Art Safari ins
Ngoro-Ngoro-Becken und in die Serengeti gehen, und Thomas hatte ihm
versprochen, mit ihm an die Küste zu fahren, wo man das stärkste Marihuana
bekäme, das er je geraucht hätte. In Malindi kauten selbst die Frauen miraa, ein Kraut, das eine Art natürliches Speed war. Er
würde Rich weder von dem bhangi noch dem miraa oder den Prostituierten erzählen, die billig und
schön waren, aber gefährliche Krankheiten hatten.
    Ein Schatten fiel auf den Tisch. Thomas dachte, er käme von einer
Wolke, aber als er aufblickte, sah er einen Mann vor sich stehen, der lächelte
und wartete, bis er ihn bemerkte.
    »Ah, Mr. Thomas, Sie haben sich verlaufen.«
    Thomas erhob sich. »Nein, Ndegwa, Sie haben sich verlaufen, aber
jetzt sind Sie ja wieder gefunden worden.«
    Ndegwa, sein Lehrer, ein Altersgenosse von Thomas, schmunzelte.
Thomas’ Versuche, die afrikanische Ausdrucksweise nachzuahmen, amüsierten
Ndegwa immer wieder, schon seit jenen Tagen, als Thomas ein Lyrik-Seminar an
der Universität von Nairobi besuchte und als einziger weißer Student in einem
Saal voller junger Afrikaner und Asiaten saß. Insgeheim hatte Thomas die
Qualität der Arbeiten als dürftig empfunden, obwohl er als erster zugegeben
hätte, die Kunst einer anderen Kultur nicht einschätzen zu können. Hätte man
sie gefragt, hätten die anderen Studenten sicher gesagt, seine Arbeit sei
selbstverliebt und ohne politischen Gehalt. Ndegwa hingegen war nicht dieser
Meinung. Tatsächlich schien er Thomas besonders gewogen zu sein, was eine
bemerkenswerte Leistung literarischer Unparteilichkeit darstellte, vor allem
angesichts Ndegwas marxistischer Ansichten.
    Thomas schüttelte dem massigen Kikuju die Hand, und Ndegwa, der
einen engsitzenden grauen Anzug trug, machte schnell einen Schritt nach vorn.
Seine blauschwarze Haut war mit einer staubigen Patina überzogen, die ein Teil
seiner Hautfarbe war. Er war ein breitschultriger, dickbäuchiger Mann, den man
eher für einen Politiker oder Geschäftsmann gehalten hätte als für einen
Dichter.
    »Sie wissen, was man über ein Tusker sagt?« fragte Ndegwa.
    Thomas lächelte und schüttelte den Kopf.
    »Setzen Sie sich, mein Freund, und ich erzähle Ihnen meine
Geschichte über das Tusker.«
    Thomas setzte sich und Ndegwa beugte sich verschwörerisch zu ihm
hinüber.
    »Am ersten Tag, den Sie in meinem Land sind, sehen Sie in Ihr Tusker
und finden einen Wurm. Sie sind angewidert und schütten das Bier auf die
Straße.«
    Thomas lächelte, weil er wußte, daß ein Witz kommen würde. Ndegwa
hatte schwere, sinnliche Lider, sein Hemd aus dicker grober Baumwolle hatte
Thomas oft im Land gesehen.
    »Nach einem Monat in meinem Land sehen Sie in Ihr Tusker und finden
einen Wurm darin. Und Sie sagen: ›Da ist ein Wurm in meinem Bier.‹ Sie nehmen
ihn ruhig heraus, werfen ihn auf die Straße und trinken dann Ihr Bier.«
    Ndegwa lachte bereits leise, seine Zähne waren rosa verfärbt. Um sie
herum saßen deutsche und amerikanische Touristen, deren Geräuschpegel gegen
Mittag immer mehr zunahm. Thomas sah einen Journalisten – Norman Irgendwie –,
den er von einer Londoner Zeitung kannte.
    »Aber nach einem Jahr, mein Freund, sehen Sie in Ihr Tusker,
entdecken den Wurm und sagen: ›Da ist ein Wurm in meinem Bier.‹ Und Sie nehmen
ihn heraus und essen ihn wegen des Proteins. Sie trinken Ihr Bier und nichts
kommt mehr auf die Straße.«
    Ndegwa lachte dröhnend über seinen eigenen Scherz. Thomas tat so,
als sähe er angestrengt in sein Bier, was Ndegwa noch mehr zum Lachen brachte.
    »Zeit, den Wurm zu essen, mein Freund. Wie lange sind Sie schon in
meinem Land?«
    »Etwas mehr als ein Jahr.«
    »So lange schon?«
    Selbst auf den winzigen gußeisernen Caféhausstühlen schaffte es
Ndegwa, trotz seines massigen Leibs elegant zu wirken. Die Kimathi Street war
am Samstagmorgen dicht von Einkaufenden bevölkert. Ndegwa sah den
afrikanischen, Thomas den weißen Frauen nach. Obwohl gerade ein kakaofarbenes
Mädchen mit gazellenhaftem Hals und rasiertem Kopf an ihnen vorbeigegangen war,
von dem Thomas den Blick nicht wenden konnte. Sie trug europäische Kleidung,
rote Schuhe mit Stiletto-Absätzen und enganliegenden Goldschmuck um den Hals.
Sie sah wie eine exotische Sklavin aus und war keinesfalls älter als vierzehn.
Der asiatische Mann, der sie begleitete, war klein und dick, sein Anzug von
vorzüglicher Paßform. Kinderprostitution war

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