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Der weiße Klang der Wellen: Roman (German Edition)

Der weiße Klang der Wellen: Roman (German Edition)

Titel: Der weiße Klang der Wellen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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Dem Abschütteln des Irdischen.
Der leeren Leinwand.
    Er legte die Mango in den Strohkorb. Er sollte Früchte kaufen,
während Regina Fleisch kaufte. Regina war ärgerlich, daß er das nicht schon
Anfang der Woche getan hatte, so daß sie ihren freien Tag opfern mußte. Regina,
die qualvolle Fälle von Amöbenruhr und Wurmerkrankungen voraussah, Kinder, die
vor ihren Augen an Hunger starben. Regina, die Klarheit schätzte und bereits
davon sprach, nach ihrem Examen zurückzugehen.
    Nein, er hatte die Einkäufe nicht erledigt, sagte er seiner Frau,
weil er die Woche mit Schreiben verbracht hatte. Um ihren Mund hatte er die
Anstrengung gesehen, die es sie kostete, nicht (mit hochgezogenen Augenbrauen
und sarkastischem Lächeln) zu sagen: ›Die ganze Woche?‹ Ihre Unterstützung
nutzte sich ab angesichts des mangelnden Einkommens, des mangelnden Erfolgs.
Schlimmer noch, all die Gedichte, die er in Afrika geschrieben hatte, handelten
ausschließlich von Hull. Brauchte man zehn Jahre, bis sich Erfahrung in Worte
umsetzen ließ? Würde er nach Hull zurückkehren und über Nairobi schreiben?
Nein, das glaubte er nicht. Afrika entzog sich seinem Verständnis. Er verstand
das Land nicht, und deshalb konnte er nicht davon träumen. Und wenn man über
eine Sache nicht träumte, konnte man nicht darüber schreiben. Wäre er in der
Lage gewesen, über Afrika zu schreiben, dachte er, hätte Regina ihm vielleicht
verziehen.
    Was sie ihm sicherlich nicht verzeihen würde, war seine Freude am
Schreiben: Es war sinnlich und spürbar, ein Ruck, der durch ihn hindurchging,
wenn es gut lief. Im Geist war er ständig beim Schreiben; auf Partys sehnte er
sich danach, an seinem Schreibtisch zu sitzen. Manchmal dachte er, es sei der
einzig unverfälschte Zugang, den er zur Welt um sich hatte, alle anderen
Bemühungen, sogar seine Ehe (Gott, gerade seine Ehe!), verloren sich in
übermäßiger Vorsicht vor enttäuschten Erwartungen und verletzten Gefühlen. Aber
Freude war mit Reginas Vorstellung von Arbeit nicht vereinbar: Sie glaubte, daß
man sich opfern und in einer Art Leidenszustand befinden müsse. Um sie zu
besänftigen, sprach Thomas manchmal von der Qual des
Schreibens, vom Kampf , die Schreibblockade zu überwinden.
Indem er das Unglück beim Namen nannte, war er sicher, daß es eines Tages
einträte.
    Er schrieb im Schlafzimmer ihres gemieteten Hauses in Karen, einer
geräumigen stuckverzierten Villa, der Parkettböden und bleiverglaste Fenster
einen leicht britischen Anstrich gaben. Ein Gewirr aus kardinal- und
fuchsiaroten Bougainvilleen überwucherte die Eukalyptusbäume und war zu einem
großen, strotzenden Parasiten verschlungen. Im Hinterhof war ein Kakteengarten
angelegt worden, der einem Karneval des Bizarren glich: lange, glatte grüne und
gelbe Triebe mit dolchartigen Stacheln, die einen Mann töten konnten. Bäume mit
birnenartigen Früchten, die sich die Vögel holten, bevor man sie ernten konnte.
Häßliche knollenartige Stümpfe, die sich von Zeit zu Zeit in hübsche, tiefrote,
samtige Blüten verwandelten, und Hunderte riesiger Wolfsmilchstauden mit
flehentlich ausgestreckten Zweigen, die sich dem äquatorblauen Himmel
entgegenreckten. Entlang des Schotterwegs, der in die Stadt führte, wiegten
sich Dutzende von Jacaranda-Bäumen in der Luft, deren Wipfel sich in der Höhe
vereinten. Jeden November warfen sie einen dichten Teppich lavendelfarbener
Blätter ab, die Michael, der Gärtner, zu Haufen zusammenkehrte und verbrannte.
Der Geruch war wie von Marihuana, nur süßer, und Thomas konnte sich einbilden,
er sei berauscht, auch wenn er es keineswegs war. Nachts warfen die Bäume einen
weiteren purpurfarbenen Teppich ab, und wenn er früh am Morgen mit einer
Packung Player’s (und Milch für sein Müsli, wenn er daran dachte) vom Laden
zurückkam, schlenderte Thomas in einem Zustand, der an Verzückung grenzte,
durch die abgefallenen Blüten.
    Wenn er morgens mit den Vögeln aufwachte, lauschte er Geräuschen,
die er noch nie zuvor gehört hatte: das Trillern winziger Webervögel, die an
Katzen erinnernden Schreie von Pfauen, das Kreischen der Ibisse und das
rhythmische Stöhnen von etwas, was er nicht bezeichnen konnte, aber vielleicht
war es einfach nur eine Taube. Einmal hatte er durchs Schlafzimmerfenster einen
Baum mit einem Schlag aufblühen sehen. Seine Blätter waren bläulichgrün, und an
dem Tag, als er explosionsartig kleine gelbe, bauschige Bällchen hervorbrachte,
Tausende und Abertausende auf einmal,

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