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Der weiße Klang der Wellen: Roman (German Edition)

Der weiße Klang der Wellen: Roman (German Edition)

Titel: Der weiße Klang der Wellen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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Sie hatte gebadet oder kam vom Schwimmen, denn ihr Haar hing in
nassen Strähnen über den Rücken. Sie trug ein rückenfreies Oberteil und einen
Kanga, diesmal in einer anderen Farbe. Sie verstellte sich nicht, tat nicht so,
als wäre sein Kommen selbstverständlich. Sie sah ihn bloß an. Stand Angesicht
zu Angesicht mit ihm auf einer Türschwelle irgendwo am Ende der Welt.
    Thomas sagte: »Hallo.«
    Ihrem Gesichtsausdruck war nichts zu entnehmen, ihr Blick suchte den
seinen. »Hallo, Thomas«, sagte sie.
    Im Licht auf den Stufen sah er sie deutlicher als gestern in dem
dämmerigen Markt. Ihr Gesicht war frisch gewaschen, ohne Schminke, und
Sommersprossen breiteten sich auf ihrer Nase aus. Sie hatte Sonnenfältchen um
die Augen und winzige Einkerbungen um die Mundwinkel. Die Lippen waren voll und
blaß, fast gänzlich ohne Amorbogen.
    »Mein Wunsch, mit dir zu sprechen, hat die Oberhand gewonnen«, sagte
er, das ›ich war zufällig in der Gegend‹ und ›ich wollte mal reinschauen‹ ließ
er weg. Ohne alle Rücksicht, denn er wußte nicht, ob der Mann namens Peter im
Haus war. »Obwohl es keine schwierige Entscheidung war.«
    Sie trat zur Seite, um ihn einzulassen. Es war ein kleiner Raum mit
zwei Fenstern, die Läden waren zurückgeschlagen, um die Luft einzulassen. Ein
Tisch und zwei Stühle standen vor einem der Fenster. Sessel, Überbleibsel aus
den vierziger Jahren (Thomas stellte sich das kriegsgeschüttelte England vor,
dazwischen ein Bakelit-Radio), standen gegenüber vom anderen Fenster. An einer
Wand befand sich ein niedriges Bücherregal. Auf dem Boden lag ein alter
Perserteppich. Es gab nur eine Lampe.
    Auf einem Tisch standen Blumen, über einem Stuhl lag ein ordentlich
gefaltetes Kitenge-Tuch. Hinter dem kleinen Eßplatz befand sich die Küche und
eine Tür, die sich nach hinten hinaus öffnete. An einem Haken hing ein
Sisalkorb, und an der Wand stand eine Makonde-Skulptur.
    Das Wasser tropfte aus ihrem Haar auf ihre Schulterblätter und auf
den Parkettboden. Sie trug ein Armband aus Elefantenhaar am Handgelenk. Sie
hielt Bernsteinohrringe in der Hand, die sie sich im Ohr befestigte, während
sie dastand.
    »Du bist aus Nairobi gekommen«, sagte sie.
    »Ich war in Limuru.«
    Sie schwieg.
    »Ich mußte dich sehen.«
    Nirgendwo ein Mann, nur sie beide.
    »Es war ein Schock, als ich dich auf dem Markt sah«, sagte er. »Ich
hatte das Gefühl, einem Geist zu begegnen.«
    »Du glaubst nicht an Geister.«
    »Nach einem Jahr in diesem Land glaube ich wahrscheinlich an fast
alles.«
    Sie standen sich gegenüber, keinen halben Meter voneinander
entfernt. Er konnte ihre Seife oder ihr Shampoo riechen.
    »Deine Hände haben gezittert«, sagte er kühn und sah, daß sie bei
dieser Behauptung zurückschreckte. Sie trat einen Schritt von ihm weg.
    »Ein Schock hat an sich nicht viel zu bedeuten«, sagte sie, nicht
willens, auf das Zittern ihrer Hände einzugehen. »Unsere gemeinsame Zeit hat so
abrupt geendet, daß ich im Zusammenhang mit dir immer einen gewissen Schock
assoziiere, egal unter welchen Umständen.«
    Eine angemessene Abwehr. Sie gingen weiter in den Raum hinein. Auf
dem Bücherregal stand ein Foto, und er schielte in dessen Richtung. Er erkannte
die Cousins und Cousinen, mit denen Linda aufgewachsen war. Eileen, Michael,
Tommy, Jack und all die anderen. Ein Familienbild. Es gab noch ein Foto von
Linda und einem Mann. Wahrscheinlich Peter, dachte er. Er sah weder akademisch
noch blutleer aus, aber ziemlich groß und dunkel und auf eine jungenhafte Weise
hübsch; er lächelte; besitzergreifend lag sein Arm um Lindas schlanke Taille.
Ihr Lächeln war eine Spur weniger strahlend. Unsinnigerweise schöpfte er Mut
aus dieser Feststellung.
    »Darf ich dir was zu trinken anbieten?«
    »Wasser wäre schön«, sagte er.
    Die Vögel draußen veranstalteten ein aufgeregtes Pfeifkonzert. Auch
sie kündigten das nahende Gewitter an, das das Küchenfenster verfinsterte,
obwohl durch die Vordertür Sonne hereinströmte. Eine kühle, heftige Brise
brachte die blaukarierten Vorhänge zum Flattern. Er beobachtete, wie sie einen
Wasserbehälter aus dem Kühlschrank nahm und ihm ein Glas eingoß.
    »Es ist gefiltert«, sagte sie und reichte es ihm.
    Er trank das eiskalte Wasser, und erst jetzt wurde ihm bewußt, wie
schrecklich durstig die Aufregung ihn gemacht hatte. »Wie geht’s dir?« fragte
er.
    »Wie’s mir geht?«
    Nachdem er entgegen aller Erwartung gekommen war, sie wiedergefunden
hatte, brachte er jetzt

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