Der weiße Klang der Wellen: Roman (German Edition)
kein Wort heraus. Verzweifelt suchte er nach einem
Anknüpfungspunkt.
»Erinnerst du dich an irgendwas von dem Unfall?« fragte er.
Sie schwieg, vielleicht überrascht darüber, daß die Frage so bald
erfolgt war.
»Ich weiß gar nichts mehr«, sagte er. »Es beginnt damit, daß ich das
kleine Mädchen auf dem Dreirad sehe, und endet damit, daß sich meine Nase mit
Wasser füllt. Als ich dich nicht sehen konnte, geriet ich derart in Panik, daß
mir bei dem Gedanken daran noch heute der Schweiß ausbricht.«
Sie lächelte und schüttelte den Kopf. »In Konversation warst du noch
nie gut.«
Sie ging in den kleinen Wohnraum und setzte sich an den Tisch, eine
Einladung, ihr zu folgen. Er setzte sich und zog seine Jacke aus, die
schweißdurchtränkt war.
»Was ist mit deiner Jacke passiert?«
»Sie ist aus Versehen in der Badewanne gewaschen worden.«
Sie lachte leise. Und einen Augenblick lang erhellte sich der Raum
bei diesem Klang. Aber dann verlosch das Licht so abrupt, wie es gekommen war.
»Ist die Narbe von damals?« fragte sie.
Er nickte.
»Es muß schlimm gewesen sein«, sagte sie.
»Ich hab es damals kaum bemerkt. Ich spürte gar nichts. Das Ausmaß
der Verletzung habe ich erst bemerkt, als meine Mutter zu schreien begann.«
»Ich erinnere mich, daß sich der Wagen überschlagen hat«, sagte sie
und zeigte damit, daß sie sich überhaupt an etwas erinnerte. »Und ich dachte,
das kann doch nicht wahr sein. Das Fenstergestänge, oder wie der Teil zwischen
den Fenstern heißt, hat sich verbogen und wir überschlugen uns. Ich habe nie
das Bewußtsein verloren. Ich bin auf der anderen Seite herausgeschwommen und
habe zu schreien angefangen. Ein paar Jungen waren in der Nähe beim Eisfischen.
Aber das mußt du ja wissen. Sie haben dich schließlich rausgezogen. Du kannst
nicht länger als eine Minute bewußtlos gewesen sein. Obwohl du ziemlich fertig
warst und die Polizei dich auf eine Bahre gelegt hat.«
»Ich habe deinen Namen gerufen.«
»Sie haben mich in eine Decke gewickelt und weggebracht. Ich hatte
Wunden an der Seite. Im Krankenhaus mußten sie mir die Kleider aufschneiden.«
»Wunden?«
»Abschürfungen. Wovon, weiß ich nicht. Von der Uferbefestigung
wahrscheinlich.«
»Tut mir leid.«
Sie trank einen Schluck Wasser, griff nach hinten und drückte das
Haar aus, dann legte sie es nach vorn über die Schulter. »Das hatten wir
schon«, sagte sie.
»Lebst du allein?« fragte er.
Sie zögerte. Sie wischte sich die Hände an ihrem Kanga ab. Ihre Füße
waren nackt. Sie hatte Schwielen an den Fersen. »Mehr oder weniger. Peter
pendelt hin und her.«
»Peter ist wer?«
»Mein Mann. Er wohnt in Nairobi.«
Thomas versuchte, den Schlag wegzustecken. »Ist das Peter?« fragte
er. Er deutete auf das Bild.
»Ja.«
»Was macht er?«
»Er ist bei der Weltbank. Er arbeitet an einem Pestizidprojekt.«
»Kennst du ihn von früher?«
»Ich habe ihn hier kennengelernt.«
Thomas stand auf, denn auf diese Weise konnte er die unerfreuliche
Nachricht besser verarbeiten. Er rang die Hände, war unruhig und nervös.
»Warum das Friedenscorps?« fragte er.
Sie trank wieder einen Schluck Wasser und sah zu dem aufziehenden
Gewitter hinaus. »Ich hatte einen Freund«, sagte sie vieldeutig.
Ein intensiver Duft wehte mit einem Windstoß herein, als stünde eine
Frau an der Tür, die sich auf diese Weise bemerkbar machte.
»Es ist doch nicht so ungewöhnlich, oder?« fügte sie hinzu. »Es
schien mir das richtige zu sein.«
Ihre Schultern waren braun und glatt, ihre Arme muskulös. Er fragte
sich, wovon.
»Du liest Rilke«, sagte er beim Durchsehen des niedrigen
Bücherregals. Er sah sich die Titel und Namen der Autoren an. Jerzy Kozinski.
Dan Wakefield. Margaret Drabble. Sylvia Plath. Looking for
Mr. Goodbar.
»Ich lese alles, was mir in die Hände kommt.«
»So sieht’s aus«, sagte er und strich über eine Ausgabe des Marathon Man.
»Ich bitte Leute, mir Bücher zu schicken. Die Bibliothek in Njia ist
erbärmlich. In Nairobi gehe ich in die McMillan-Bibliothek im British Council.
Ich hatte gerade eine Margaret-Drabble-Phase.«
»Du unterrichtest.«
Sie nickte.
»Was?«
Er nahm eine Ausgabe von Anne Sexton heraus und blätterte sie durch.
Er mißtraute Bekenntnislyrik.
»Ein bißchen von allem. Der Lehrplan basiert auf dem englischen
System. Die Kinder müssen Prüfungen machen. Es gibt A- und O-Noten und so
weiter. Sie müssen die Grafschaften von England auswendig lernen. Was ihnen
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