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Der weiße Klang der Wellen: Roman (German Edition)

Der weiße Klang der Wellen: Roman (German Edition)

Titel: Der weiße Klang der Wellen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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getroffen«, fuhr Thomas fort. »Im Thorn
Tree Café. Er sagte mir, man würde ihn vielleicht verhaften. Ich hatte keine
Ahnung, daß es schon so bald passieren würde.«
    Mary Ndegwa schwieg und rührte sich nicht. Thomas versuchte, sich
ihr Leben im Haus der Schwiegermutter vorzustellen: Gab es eine Hierarchie, eine
bestimmte Befehlsstruktur? Nahmen beide einen geringeren Status ein, wenn
Ndegwa an den Wochenenden heimkam?
    »Er hat mir aufgetragen, Sie zu besuchen, wenn er verhaftet würde«,
sagte Thomas.
    »Das weiß ich«, sagte sie.
    Verwirrt nickte Thomas. »Dann haben Sie mich also erwartet?«
    »O ja.«
    Dabei hatte er selbst bis zu diesem Morgen nicht gewußt, daß er
käme. Eine Eidechse huschte über die Wand. Mary Ndegwa rückte ihren massigen
Leib auf dem Sofa zurecht.
    »Wie geht es Ihrem Sohn?« fragte Thomas, da ihn die Brüste an das
Kind erinnerten.
    »Baby Ndegwa geht es sehr gut.«
    Er hatte bereits eine Art Kater von dem Bier. Unglaublicherweise
mußte er schon wieder pinkeln.
    »Mein Mann hat gesagt, daß Sie in Ihren Gedichten die Wahrheit
sagen«, begann Mary Ndegwa.
    Thomas empfand sofort Auftrieb bei dem Kompliment, dergleichen hörte
er nicht oft in letzter Zeit. »Ihr Mann ist sehr nachsichtig in seiner Kritik,
aber ich kann die Wahrheiten erfinden, die mir passen.«
    »Die Wahrheit kann von vielen Türen aus betrachtet werden, Mr.
Thomas.«
    Der Vergleich hörte sich an, als wäre er real ausprobiert worden. Er
stellte sich einen Hügel voller Hütten vor, bei allen standen die Türen offen, mzees standen auf den Schwellen und sahen auf ein Licht auf
einem entfernten Hügel: die Wahrheit aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet.
    Nachdem sich seine Augen an das dämmerige Licht gewöhnt hatten,
erkannte er die dunklen Ringe um Mary Ndegwas Augen, die auf ihre Erschöpfung
schließen ließen. Eigentlich erwartete er, daß jeden Moment wieder einer der
Country-Western-Songs aus dem Plattenspieler ertönte.
    »Hat man Ihnen gesagt, wo Ndegwa ist?« fragte Thomas.
    »Sie halten ihn in Thika fest.«
    »Dürfen Sie ihn besuchen?«
    Sie machte ein Gesicht, als wollte sie sagen, natürlich nicht.
»Unsere Regierung wird meinen Mann nicht freilassen. Sie werden uns die
Anklagepunkte nicht mitteilen und auch keinen Prozeßtermin festsetzen.«
    Thomas nickte langsam.
    »Das ist eine Tatsache, die möglichst verbreitet werden sollte,
finden Sie nicht?«
    Ein winziger Stich in seiner Brust, ein Moment des Begreifens. Jetzt
verstand er plötzlich, warum ihm diese Audienz gewährt worden war, warum Ndegwa
gestern mit ihm im Thorn Tree gesessen hatte. Ob der Mann versucht hatte,
Journalisten aufzutreiben? Amerikaner? Hatte Ndegwa seine eigene Verhaftung
inszeniert?
    »Das ist eine Verletzung der Menschenrechte«, sagte Mary Ndegwa.
    Thomas wurde es heiß unter seiner Sportjacke, die beim Waschen in
der Badewanne eingegangen war. Er, der sich für Politik nur wenig interessierte,
selbst wenn er an Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg teilgenommen hatte. Er
war bloß hingegangen, um die Leute zu beobachten. Daß die Demonstrationen ein
Mittel zu einem Zweck waren, hatte ihn nicht weiter gekümmert.
    »Meine Regierung kann meinen Mann jahrelang einsperren. Das ist
nicht recht.«
    »Nein, natürlich nicht«, sagte Thomas. »Ich würde mich freuen, wenn
ich irgendwie helfen könnte.«
    »Haben Sie und mein Mann über diese Dinge gesprochen?«
    »Gestern haben wie kurz darüber gesprochen, daß er verhaftet werden
könnte. Normalerweise haben wir über Literatur geredet. Und Lyrik. Worte.«
    Mary Ndegwa richtete sich auf. »In der Universität wurden
Demonstranten verhaftet. Im Moment befinden sich gemeinsam mit meinem Mann
fünfzig von ihnen in Haft. Warum sind sie verhaftet worden? Ich will es Ihnen
sagen, Mr. Thomas. Um sie mundtot zu machen. Um ihnen das Wort zu verbieten.«
    Thomas rieb sich die Stirn.
    »Widerstand bedeutet nichts anderes als Worte«, fügte sie hinzu.
    Es war eine Art Katechismus, dachte er. »Mama Ndegwa, ich muß Ihnen
gestehen, daß ich kein sonderlich politischer Mensch bin«, sagte er.
    »Was ist ein politischer Mensch?« fragte sie schneidend, und
plötzlich lag eine Schärfe in ihrer Stimme, die vorher nicht hörbar war.
»Erkennen Sie Leiden?«
    »Das hoffe ich.«
    »Ungerechtigkeit?«
    »Ja, hoffentlich.«
    »Dann sind Sie ein politischer Mensch.«
    Widerspruch erschien sinnlos. Was ihre Zwecke anbelangte, war er ein
politischer Mensch und würde alles tun, was sie

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