Der weiße Klang der Wellen: Roman (German Edition)
zwang sie, hintereinander zu gehen, was eine
Unterhaltung unmöglich machte. Das niedrige regennasse Gras durchtränkte seine
Hosenaufschläge, und er blieb einen Moment stehen, um sie hochzukrempeln. Sie
gingen durch ein blaßgelbes Chrysanthemenfeld und an einer kleinen Gruppe von
Hütten vorbei. Echte Hütten mit Grasdächern, nicht die veredelte Form mit
Blechdächern und roten Plastikmöbeln wie Ndegwas Shamba. Er betrachtete ihren
Rücken, das trocknende Haar. Es war kühl nach dem Gewitter, obwohl die Sonne
brannte. Sie wanderten durch schattige Stellen, kamen dann wieder in die Hitze
und danach wieder ins Kühle. Gelegentlich winkte Linda einer Frau oder einem
Kind zu. Vielleicht hätte er die Umgebung mehr wahrgenommen, wenn er den Blick
von ihr hätte wenden können. Sie schritt kräftig aus, und das Tuch ihres Kangas
schwang beim Gehen leicht mit. Ihr Haar wurde von Minute zu Minute heller. Sie
gingen am Rand eines dichten Waldes entlang, und ihn überkam vorübergehend die
Angst, sie könnten einem weiteren Büffel oder Elefanten begegnen, aber sie
bewegte sich vollkommen furchtlos, und er beschloß, ihr einfach zu folgen.
Hinter dem Wald lag ein Dorf mit einem dunklen Laden, einer Bar und einer
Schule. Alles aus Zement gebaut. Es hätte im Wilden Westen sein können, so kahl
war alles, so abgelegen.
Er wollte wieder neben ihr gehen, sobald sie den Pfad hinter sich
hatten, aber auf der Straße wurde sie sofort von Kindern umringt – die ihr
zuriefen, die Hände ausstreckten, um sie zu berühren. Jambo.
Miss Linda. Habari yako. Mzuri sana. Sie streichelte ihnen über die
Köpfe und beugte sich hinunter, um sie zu umarmen. Sie sprachen in einem
schnellen Gemisch aus Suaheli und Englisch mit Linda und wollten wissen, wer
der Mann bei ihr war; dabei deuteten sie scheu mit einer Hand auf ihn und
bedeckten mit der anderen den Mund. Sie stellte Thomas als einen Freund vor, er
schüttelte reihum die Hände und fand ihre Freude ansteckend. Aber dann fragte
ein Junge Linda, wo Peter sei ( Wapi Bwana Peter? ),
und Thomas spürte, wie ihn die Freude verließ. Sie gingen weiter, und die
Kinder sprangen wie Grashüpfer neben ihnen her. Verzweifelt sehnte sich Thomas
danach, Lindas Hand zu nehmen. Sie nannte ihm den Namen des Dorfes und
erklärte, daß es einmal eine blühende Gemeinde gewesen sei. Jetzt aber seien
die meisten Männer in die Stadt gegangen, um sich Arbeit zu suchen. Einige
kommen am Wochenende zu ihren Frauen und Kindern zurück, andere kommen nicht
mehr zurück. Frauen mit Babys an der Brust standen in Haustüren und winkten
Linda zu, sie waren nicht so überschwenglich wie die Kinder, ihr Winken war
freundlich, aber zurückhaltend: die Frauen hatten zu viel erlebt, oder ihre
Männer hatten sie verlassen.
Hitze stieg von der Straße auf. Thomas zog seine Jacke aus und legte
sie über die Schulter. Seine Kleider waren jetzt genauso staubig wie der
Schmutz und der Schotter. Sie öffnete die Tür des Schulhauses, und die Kinder
drängten sich an ihnen vorbei. Es war unerwartet kühl im Innern, die Mauern
reichten nur bis Schulterhöhe, die Fensteröffnungen unterhalb des Blechdachs
waren ohne Glas.
»Wenn es regnet, ist das Geräusch auf dem Dach so laut, daß wir mit
dem Unterricht aufhören müssen.«
»Den Kindern gefällt das wahrscheinlich.«
»Eigentlich nicht. Sie gehen gern zur Schule. Nicht nur in diese
Schule. Anderswo ist es genauso.«
Es gab einige Versuche, den Raum freundlicher zu gestalten. Bunte
Zeichnungen hingen an den Wänden, einige davon kühn und sehr gut. Die Kinder
zerrten an Thomas, der ihnen bereitwillig folgte, wohin sie ihn führten. Er
wünschte, er hätte Süßigkeiten bei sich – Lollipops, Plätzchen oder kleines
Spielzeug. Irgend etwas. Es gab keine Tische, nur ein Pult für Linda.
»Worauf schreiben sie denn?« fragte er. Sie hatte sich gesetzt und
hielt einen spindeldürren Jungen auf dem Schoß. Eine Krankheit schien für die
kahlen Stellen auf seinem Kopf verantwortlich zu sein.
»Auf ihren Büchern.«
Hinter ihrem Pult stand ein Holzkohlengrill. Sie bemerkte, daß er
darauf sah.
»Ich mache ihnen am Morgen hier Essen. Ich brate ihnen Eier und gebe
ihnen Milch. Einmal die Woche bekomme ich eine Lieferung von einer Farm, und
jeden Morgen trage ich die Lebensmittel zur Schule herüber. Ich kann sie hier
nirgendwo kühl halten.«
Was ihre Muskeln erklärte, dachte er.
Der Junge auf ihrem Schoß hustete und spuckte auf den Boden. Linda
klopfte ihm auf den
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