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Der weiße Klang der Wellen: Roman (German Edition)

Der weiße Klang der Wellen: Roman (German Edition)

Titel: Der weiße Klang der Wellen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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bekam
er Lust darauf. »Ich habe ein überwältigendes Bedürfnis, alle meine Schleusen
vor dir zu öffnen«, sagte er.
    Ihre Hände erstarrten, als sie den Tee eingoß.
    »Tut mir leid«, sagte er. »Das war nicht als sexuelle Anspielung gemeint.«
    Sie zuckte mit den Achseln.
    »Du siehst wundervoll aus«, fügte er hinzu. »Das hätte ich schon
früher sagen sollen.«
    »Danke.«
    »Steigen dir auf der Straße Männer nach?« fragte er.
    Sie stellte die Teekanne ab. »Kenianische Männer sind in dieser
Hinsicht normalerweise sehr respektvoll Frauen gegenüber«, sagte sie. Sie hielt
inne. Ganz plötzlich hatte es zu regnen aufgehört, als hätte jemand den
Wasserhahn zugedreht. Ihre Stimmen waren jetzt zu laut. »Weißt du das nicht von
deiner Frau?«
    »Meine Frau möchte mich vielleicht in dem Glauben lassen, daß sie es
tun«, sagte er, ohne zu zögern, obwohl er hätte zögern sollen. Linda drehte das
Gesicht zum Fenster. Es war das Illoyalste, was er je über Regina gesagt hatte.
In zweifacher Hinsicht illoyal, weil es nicht nur unterstellte, daß seine Frau
zu ihrem Vorteil log, sondern daß sie ihn außerdem auch noch eifersüchtig
machen wollte.
    »Tut mir leid«, sagte er. Bei wem er sich entschuldigt, war ihm
nicht ganz klar.
    »Hast du Kinder?« fragte sie.
    »Nein.« Er hielt inne. »Regina war einmal schwanger, aber sie hatte
eine Fehlgeburt im fünften Monat.«
    »Tut mir leid.«
    »Es war eine scheußliche Fehlgeburt, die im Kreißsaal endete. Eine
Woche vor unserer Hochzeit.«
    Er fügte nicht hinzu, daß es unmöglich gewesen wäre, sich vor der
Hochzeit zu drücken, obwohl ihm erbärmlicherweise der Gedanke gekommen war.
Seitdem – wie zur Strafe – konnte Regina nicht mehr schwanger werden und sah
vielleicht deshalb manchmal aufgequollen, mütterlich und traurig aus. Die Art,
wie sie mit kenianischen Kindern – mit jedem Kind – umging, war herzzerreißend
anzusehen. Es war drei Jahre her, und es war an der Zeit, Tests zu machen, aber
sie, die sich auskannte, hatte wenig Vertrauen in die kenianische Medizin. Sie
wollte warten, bis sie zu Hause wären. Was ihm nur recht war.
    »Du hast keine Kinder?« fragte er.
    »O nein.«
    Er hatte nichts anderes erwartet, aber dennoch verspürte er
Erleichterung. »Ich habe das Gefühl, als hätte man mir gerade mit einer Machete
die Brust aufgeschlitzt«, sagte er.
    »Eine weitere Narbe«, sagte sie leichthin.
    Daraufhin trat ein langes Schweigen zwischen ihnen ein.
    »Rich kommt«, sagte er nach einer Weile.
    »Rich?« sagte sie, und ihre Züge hellten sich auf. »Wie alt ist er
jetzt?«
    »Sechzehn.«
    »Mein Gott!« Sie schüttelte langsam den Kopf. »Wie ist er?«
    »Er ist ein netter Kerl. Er mag Boote. Im Sommer arbeitet er bei
einem Jachtclub, er macht den Fährdienst zwischen dem Ufer und den Booten.«
    »Er war sieben, als ich ihn kennenlernte. So ein lieber Junge.«
    »Nun, wenn du in Nairobi bist, kannst du ja zum Abendessen
vorbeikommen und ihn wiedersehen.«
    Als er die wahnsinnige Einladung aussprach, hörte er sich an wie ein
kleiner Junge, der Leute mitten im Sprechen unterbricht.
    »Ich bin sicher, daß er sich an dich erinnert«, fügte Thomas hinzu.
»Ich weiß sogar, daß er es tut. Er redet immer noch davon, was für eine gute
Schlittschuhläuferin du warst.«
    »Das ist so lange her«, sagte sie wehmütig.
    »Es kommt mir vor, als sei’s gestern gewesen.«
    Er betrachtete ihren Arm auf dem Tisch. Die Härchen darauf waren
ebenfalls fast weiß. Sie schien seinen Blick zu bemerken und zog den Arm
zurück. Vielleicht war sie immer noch befangen wegen ihrer Hände.
    »Erzähl mir von deiner Arbeit«, sagte sie.
    Er dachte einen Moment nach. »Nein.«
    Sie sah auf und lächelte. »Touché.«
    Er wußte, daß seine Arbeit gut war. Das war eine schlichte
Überzeugung, die er nie aufgegeben hatte. Und er wußte, wenn er die Geduld
nicht verlor, würde das eines Tages auch jemand erkennen. Manchmal wunderte er
sich über seine Zuversicht und fragte sich, woher sie kam. Und obwohl er selten
darüber sprach, mißtraute er ihr nie.
    Sie erhob sich. »Möchtest du einen Spaziergang machen? Ich könnte
dir die Schule zeigen.«

Er hatte das Gefühl, er könnte auf ewig in ihrem Haus sitzen bleiben.
    Er fühlte sich schwach auf den Beinen, als sie ihn durch die
Hintertür hinausführte. Er dachte, daß sie Sandalen anziehen würde, was sie
nicht tat, und ihm fiel auf, wie hart ihre Füße geworden waren. Der Pfad durch
den Busch war schmal und

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