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Der weiße Klang der Wellen: Roman (German Edition)

Der weiße Klang der Wellen: Roman (German Edition)

Titel: Der weiße Klang der Wellen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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mir
nicht sicher, ob sie nicht doch recht hatte. Die Menschen ändern sich
schließlich, oder? Du hättest verärgert sein können, weil ich fortgegangen bin,
ohne zu sagen, wohin. Vielleicht hat meine Tante ja auch Dich belogen.
    Ich dachte: So schnell hat er mich vergessen.
    Ich habe die Briefe nie bekommen, die Du mir geschrieben hast. Nicht
schwer, sich vorzustellen, was mit ihnen passiert ist. Sie wurden gelesen und
dann weggeworfen, schätze ich. Wie sehr wünschte ich mir, ich könnte Deine
Briefe zurückbekommen. Ich habe das Gefühl, daß wir zutiefst vereint, ein
Fleisch, ein Leib sind. Ich liebe Dich mit dem langgewachsenen Haar. Ich liebe
Dich.
    Bitte schick mir Deine Gedichte. Ich hoffe, es stimmt, daß nur Du
die Post holst.
    In Liebe
    Linda
    PS : Danke für den Trzebinski. Ich
habe ihn an einem Tag ausgelesen. Ich wünschte, ich wäre eine langsamere
Leserin, um mehr von den Büchern zu haben.
    10. Januar
    Liebe Linda,
    es quält mich, daß Du geglaubt hast, ich hätte Dich vergessen.
    Niemals.
    Hätte ich mich doch bloß nicht um Deine Tante gekümmert und nicht
aufgegeben. Hätte ich doch nur Eileen angerufen. Wäre ich nur in den Wagen
gestiegen und nach Middlebury gefahren. Ich darf gar nicht daran denken. Es
macht mich buchstäblich krank.
    Und deshalb fällt es mir schwer, mich über die Neuigkeit zu freuen,
die mir noch vor einer Stunde so wundervoll vorkam. Gestern erhielt ich einen
Brief (er brauchte sieben Wochen, bis er hier eintraf) von einem Redakteur des New Yorker , der zwei meiner Gedichte abdrucken will. Ich
war außer mir vor Sorge, der Redakteur könnte vielleicht glauben, ich sei nicht
interessiert, weil ich so lange nicht reagiert habe, also fuhr ich nach Nairobi
und rief ihn sofort an. Er war ein bißchen verwundert, daß ich deswegen aus
Afrika anrief (natürlich war es für ihn nicht so wichtig wie für mich), und ich
erklärte ihm die Sache mit der Post. Die Gedichte werden jedenfalls gedruckt,
und ich bekomme sogar Geld dafür (an sich schon erstaunlich). Regina freut sich
riesig darüber. Wahrscheinlich rechtfertigt das in ihren Augen meine Existenz.
Ich glaube das übrigens auch.
    Ich habe noch weitere Neuigkeiten. Mein Botschaftsvertreter (er hat
einen Namen: Lucas Smollet) hat mir eine Nachricht zukommen lassen, er plane
einen Empfang, an dem verschiedene einflußreiche Leute teilnehmen sollen
(einschließlich Mr. Kennedy), und er möchte wissen, ob ich Mary Ndegwa dazu
überreden könnte, ebenfalls daran teilzunehmen. Er hält es für die beste
Möglichkeit, ihre Sache vorzubringen, und es freute mich, daß er den »Ndegwa-Fall«
noch nicht vergessen hat. Kennedy wird sich natürlich nicht an mich erinnern,
was zweifellos peinlich sein wird, aber das ist mir im Moment egal. Ich weiß
das genaue Datum des Empfangs noch nicht, aber wenn ich es weiß, gebe ich Dir
Bescheid. Vielleicht könntest Du mit Peter daran teilnehmen? (Wahnsinn, sich
vorzustellen, wir könnten uns im gleichen Raum aufhalten, ohne uns zu berühren.
Hätten wir genügend Selbstbeherrschung? Vielleicht nicht.)
    Rich kommt am Dienstag, und wir gehen ein paar Wochen auf Safari.
Ich hatte mich darauf gefreut (und tue das hoffentlich immer noch), obwohl mich
der Gedanke, in dieser Zeit keinen Brief von Dir zu bekommen, rasend macht. (Du
solltest mir vielleicht zwei Wochen nicht schreiben. Nein, schreib mir, schick
die Briefe aber nicht ab, bevor ich wieder zurück bin. Ich hasse diese
verdammten Heimlichkeiten. Sie erniedrigen uns genauso wie Peter und Regina.
Aber ich weiß nicht, wie sie zu vermeiden wären, Du vielleicht?)
    Ich habe den Rat eines Freundes (eines Bekannten) befolgt und einen
Mann in Nairobi aufgesucht, der ein Magazin herausgibt. Ich wollte ihn fragen,
ob er meine Gedichte abdrucken will. Es war nur ein Versuch, aber ich war
ohnehin in Nairobi (um für zwölf Dollar pro Minute beim New
Yorker anzurufen, womit vermutlich die gesamte Summe des anstehenden
Honorars verbraucht ist), und ich dachte, ich probier’s einfach mal. Es ist ein
seltsam überzüchtetes Blatt, irgendwo zwischen McCall’s und Time angesiedelt (Interviews mit hochrangigen
Politikern neben Rezepten), aber der Redakteur gefiel mir. Er wurde in den
Staaten erzogen – in Indiana übrigens –, und er lud mich zum Lunch ein. Er wird
einige der Gedichte abdrucken. (Auch dort werde ich bezahlt. Welch peinliche
Anhäufung von Reichtümern.) Bei dem Besuch stellte sich nebenbei auch noch
heraus, daß er dringend Reporter

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