Der weiße Klang der Wellen: Roman (German Edition)
braucht, und er fragte mich, ob ich einen oder
zwei Artikel für ihn schreiben könne. Ich erklärte ihm, daß ich nie als
Journalist gearbeitet habe, aber das schien ihn nicht zu stören. (Meine Qualifikationen
bestehen vor allem darin, verfügbar zu sein und auf englisch schreiben zu
können.) Ich dachte, warum nicht, und sagte zu. Daher fahre ich morgen los, um
über ein siku kuu (wörtlich: großer Tag) beim Massai
bomas im Rift zu berichten. Ein Fotograf begleitet mich. Vielleicht ist es ja
ganz interessant.
Linda, ich sterbe vor Sehnsucht. Ich muß Dich sehen. Besteht
irgendeine Möglichkeit, daß Du Dich für ein paar Tage freimachst? Ich könnte
mir vorstellen (wie hoffnungslos das auch sein mag), daß wir uns irgendwo an
der Küste treffen. Regina, die uns auf der Safari begleitet, wird uns in
Mombasa bald verlassen, weil sie die feuchte Luft nicht verträgt. Ich könnte
Rich überreden, mit ihr zurückzufahren (wahrscheinlich hat er dann genug von
seinem großen Bruder und sehnt sich danach, wieder allein zu sein). Mit Dir auf
Lamu zu sein wäre göttlich. Bist Du je dort gewesen? Falls das nicht möglich
ist, vergiß die Küste und komm einfach nach Nairobi. Oder sag mir, daß ich nach
Njia kommen darf. Könnten wir uns in Limuru treffen? Mein Körper vergeht vor
Sehnsucht.
In Liebe
Thomas
PS : Ich hasse es, wie Briefe
normalerweise enden – entweder zu lau oder zu forsch.
PPS : Die Schlagzeile von
heute: TOBENDE ELEFANTEN ZERSTÖREN ERNTE .
17. Januar
Lieber Thomas,
ich bin heute sehr traurig. Heute morgen ist David im Maria
Magdalena gestorben. Dr. Benoit hat getan, was er konnte, aber die
Lungenentzündung hatte beide Lungenflügel angegriffen, und David hatte nicht
mehr die Kraft, das durchzustehen. Ich komme gerade nach Hause, nachdem ich
seiner Mutter, die selbst sehr krank ist, die Nachricht überbracht habe. Sie
schien meine Worte kaum aufzunehmen. Was ist das für eine schreckliche
Krankheit, Thomas? Dr. Benoit ist wütend auf sich und auf Brüssel, wo man zu
lange gebraucht hat, um das Ergebnis der Analyse zurückzuschicken. Aber dort
ist man ebenfalls ratlos und hat die Proben an die amerikanische Seuchenbehörde
geschickt. Dr. Benoit behauptet, er habe bereits ähnliche Fälle gesehen und sei
besorgt, daß die Krankheit sich ausbreite, bevor er herausgefunden habe, worum
es sich handelt.
David war ein tapferer Junge. Morgen findet seine Beerdigung statt.
Ja, vielleicht ist es möglich, sich an der Küste zu treffen. Ich
müßte es so einrichten, daß ich entweder mit Peter hin- oder zurückfahre, und
vielleicht ist es möglich, zwei Tage mit Dir zu verbringen. Auch ich verzehre
mich nach Dir, obwohl ich Angst davor habe, Dich wiederzusehen. Vielleicht
liegt es an meiner gedrückten Stimmung heute, aber ich glaube nicht, daß unser
Zusammensein zu etwas Gutem führt. Ganz und gar nicht. Einer jedenfalls wird
schrecklich verletzt werden – und es steht nur zu hoffen, daß es einer von uns
beiden ist.
Ich freue mich über die Nachricht vom New Yorker .
Du mußt mir die Gedichte schicken, die sie drucken wollen.
Thomas, ich liebe Dich mehr, als ich für möglich gehalten hätte. Es
macht mich traurig wegen Peter; was alles er nie von mir bekommen hat. Ich
werde den lauwarmen Schluß lassen. Es gibt keine Worte, die hinreichend wären.
Linda
PS : Ich habe es riskiert, Dir den
letzten Brief zu schreiben, bevor Du an die Küste fährst. Ich bete, daß Du es
bist, der ihn abholt.
26. Januar
Liebe Linda,
es tut mir leid wegen David. Ich hoffe, er mußte nicht leiden.
Seltsamerweise bin ich froh, daß seine Mutter nicht ganz mitbekommen hat, was
geschehen ist. Das schien mir immer das Schlimmste am Tod eines Kindes zu sein:
daß die Mutter den unerträglichen Verlust erdulden muß. Ich wünschte, Du
würdest Deinen Gott nicht so leidenschaftlich hassen, dann könntest Du Trost
aus dem Gedanken schöpfen, daß David jetzt bei ihm ist.
Welche Spannbreite von Gefühlen zwischen zwei Absätzen! Ich war fast
außer mir vor Glück, daß Du es vielleicht einrichten kannst, mich an der Küste
zu treffen. Wäre Lamu möglich? Ich schicke Dir morgen die genauen Daten und
werde mich nach einem Ort umsehen, wo wir uns treffen können. Mein Gott, Linda,
es muß einfach klappen! Bei einem anderen würden die Skrupel vielleicht die
Wünsche und Bedürfnisse überwiegen, bei mir aber nicht. Manchmal sage ich mir,
daß wir uns dies einfach schuldig sind für all die Tage und Nächte, die
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