Der weiße Klang der Wellen: Roman (German Edition)
wir
verloren haben, obwohl ich weiß, daß das von einem moralischen Standpunkt aus
keinen Sinn ergibt. Jemand anderes (Deine Nonne vielleicht) würde vielleicht
sagen Pech gehabt, wir seien an andere Versprechen
gebunden, die es zu halten gelte. Ich aber frage mich: Haben wir beide uns vor
acht Jahren vor einem blauen Haus kein größeres Versprechen gegeben? Muß ich
mein Leben lang für einen Moment der Unachtsamkeit auf einer glatten Straße
büßen? Würde ich es verstehen, wenn Regina in dieser Lage wäre? Gott, ich
hoffe, daß es so wäre.
Ich habe gerade meinen ersten Artikel für das Magazin beendet, von
dem ich Dir erzählt habe. Das siku kuu war
tatsächlich ein besonderes Ereignis – eine Zeremonie, bei der sich tausend
Massai-Männer versammeln, um ihre Frauen mit Honigbier zu besprengen und damit
die Fruchtbarkeit des Stammes sicherzustellen. Ein Spektakel, das alle zwanzig
Jahre stattfindet – und ich hoffe, ich bin ihm gerecht geworden. Ich hätte
lieber ein Gedicht darüber geschrieben, aber das wäre kaum das, was der
Redakteur im Moment haben wollte. Ich will Dich mit keinem Reisebericht
langweilen, sondern nur von ein paar Höhepunkten berichten: Es dämmerte, als
wir die Magadi Road erreichten. Verschlafene Unterhaltung mit dem Fotografen.
Zweihundertfünfzig manyattas, zweitausend Massai auf einem Platz. Die roten und
braunen Kleider der Frauen, ihre maridadi, die Ohrringe mit den langen,
pendelartigen Anhängern, und Filmrollen in den Ohrlöchern. Hunderte von Kindern – neugierig, grapschend, freundlich lachend. Ein biblisch aussehender Mann
namens Zachariah, der uns geduldig die Zeremonie erklärte. Die Frauen, einige
ergeben, einige ernst, manche halb wahnsinnig in wilden Zuckungen und
epilepsieartigen Anfällen. Tiefes, qualvolles Stöhnen. Ich trug eine
Kindermütze gegen die Sonne, weil ich die meine vergessen hatte. Verteilte
Zigaretten. Ging beiseite, um zu pinkeln, und fragte mich, ob ich auf heiligen
Boden pißte. Ich verteilte Geld. Die grausamen Gesichter von einigen jungen
Männern, die wie dekadente Römer aussahen. Die langen Verhandlungen um die
Frauen, die angesichts ihres Schicksals erschreckend passiv wirkten.
Ich kann mir nicht vorstellen, welche Rolle die Liebe dabei spielt.
Von außen gesehen war es unmöglich, das zu beurteilen.
Es wäre am besten, wenn wir uns irgendwann zwischen dem 28. und 3.
treffen könnten. Vielleicht am 1.? Ich zähle buchstäblich die Stunden bis
dahin.
Thomas
PS : Die Schlagzeile von heute: PAVIAN STIEHLT BABY .
27. Januar
Liebe Linda,
wir machen uns Illusionen. Wir machen uns Illusionen. Triff Dich
dennoch mit mir. Bitte. Vor Petley’s Hotel, Lamu, zwölf Uhr mittags, am 1. Wir
machen einen Spaziergang.
T.
Unter ihnen lagen Ebenen mitBuschwerk,
die bereits genau umrissene Schatten auf den kahlen Boden warfen. Gräser, die
an vertraute Getreidefelder erinnerten, wiegten sich auf einem unbekannten
Herzland, und riesige Papyrussümpfe drohten ganze Ländereien zu verschlingen.
Der Pilot, der größte Gelassenheit zeigte, die Beine gegen das Armaturenbrett
stützte und eine Zigarette rauchte (war das nicht verboten?), flog so tief, daß
Thomas einzelne Elefanten und Weißschwanzgnus erkennen konnte, sowie eine
einsame Giraffe, die bei dem stotternden Geräusch über sich den Hals reckte.
Ein Buschmann in himmelblauem Umhang und mit einem Speer in der Hand
marschierte von einem unbewohnten Ort zum nächsten, und eine Frau mit rotem
Schal trug ein hohes Gefäß auf dem Kopf. Das alles sah Thomas – er beobachtete,
wie das rosige Licht die Seen in Türkisblau verwandelte, er registrierte, wie
das Licht der Morgendämmerung wie eine Theaterbeleuchtung aufflammte – und
dachte: In sechs Stunden werde ich sie sehen.
Sie flogen ohne Generator, was möglich sei, wie der Pilot Thomas
versichert hatte, nur dürfe der Motor nicht aussetzen, denn er könne ihn nicht
neu starten. Dem Piloten, der längeres Haar hatte und eine kurzärmelige, an der
Taille eng anliegende Jacke trug (ähnlich wie es die Beatles vor Jahren
getragen hätten), schien die Unternehmung völlig gleichgültig zu sein, und er
hatte Thomas die Entscheidung überlassen, ob sie umkehren sollten, nachdem der
Ausfall des Generators festgestellt worden war. Thomas, der an Linda dachte,
die um zwölf Uhr vor Petley’s Hotel stehen würde, sah keine Alternative und kam
irgendwo über Voi zu dem Schluß, daß die Maschine schon nicht vom Himmel fallen
werde, um ihn für seine
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