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Der weiße Klang der Wellen: Roman (German Edition)

Der weiße Klang der Wellen: Roman (German Edition)

Titel: Der weiße Klang der Wellen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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zu halten, das eines Tages
herausgeschnitten werden muß.
    Nein, ich glaube das mit dem Krankenhaus nicht, und ich muß mich
selbst davon überzeugen. Schreib mir und sag mir, daß ich kommen darf. Oder
triff Dich irgendwo mit mir. Ich halte es nicht aus, Dich nicht zu sehen. Wann
kommst du nach Nairobi?
    Die USA haben wegen Ndegwas Verhaftung
formelle Beschwerde bei der kenianischen Regierung eingelegt. Ich fühle mich
geschmeichelt bei dem Gedanken, daß ich dazu beigetragen habe, aber es wäre
eine Illusion zu glauben, daß es etwas nützt. Ich habe an Amnesty International
geschrieben, werde aber erst in mehreren Wochen eine Antwort erhalten. Wie
entsetzlich langsam die Post doch ist! Hast Du Telefon? Ich habe vergessen,
Dich zu fragen. Wir haben keines. Nach dem Einbruch (eine andere lange
Geschichte) sträubte ich mich, wieder eines anschließen zu lassen, aber Regina
drängt seit einiger Zeit darauf, einen Anschluß zu haben. Doch jetzt würde ich,
der untreue Ehemann, sofort nachgeben, wenn ich wüßte, daß es die Verbindung zu
Dir herstellt.
    Ich verharmlose die Sache, aber unsere Lage ist quälend. Wir reden
nicht über die Zukunft. Haben wir denn eine?
    Es gibt Gerüchte über ein Massengrab mit fünfzig Studenten. Mir
fällt das schwer zu glauben, aber vielleicht stimmt es.
    Bald ist Weihnachten. Ein komischer Gedanke bei der Hitze, nicht
wahr? Wie sehr wünschte ich mir, ich könnte es mit Dir verbringen.
    Dein Thomas
    PS : Die Schlagzeile von heute: ANGRIFF VON LEOPARD IN KAREN
    4. Januar
    Lieber Thomas,
    Peter und ich sind gerade aus Turkana zurückgekehrt, wo wir die
Feiertage verbracht haben. Wir sind durch Flußbetten gefahren und wären bei den
mörderischen Temperaturen um die 50 Grad fast umgekommen. Die Landschaft, durch
die wir kamen, war so verlassen, daß man sich nicht vorstellen kann, wie die
Turkana, die von einem Wüstengebiet zum nächsten wandern, es schaffen, dort zu
überleben. Das Seeufer glich zu unserem Erstaunen einer Meeresküste, mit Palmen
und kilometerlangen Sandstränden. Wir kümmerten uns nicht darum, ob es
gefährliche Parasiten oder Krokodile gab, und ließen uns im 30 Grad warmen
Wasser treiben. Am Morgen wachten wir bei Sonnenaufgang auf – einem blutroten
Streifen von mehreren hundert Kilometern Länge, der trotz seiner ergreifenden
Schönheit wieder glühende Hitze für den Rest des Tages versprach. Die
Landschaft ist herrlich, gewaltig und bedrohlich – als beträte man einen
anderen Planeten, wo die Atemluft aus giftigen Gasen in prächtigen Farben
besteht.
    Thomas, wir sind miteinander verbunden, so sehr wir uns dagegen auch
sträuben mögen. Was in Zukunft werden soll, weiß ich nicht.
    So vieles ist ungesagt geblieben.
    Ich konnte Dich meinen Namen rufen hören, als ich fortgebracht
wurde. Ich stand unter Schock und konnte nicht sprechen, sonst hätte ich Dir
geantwortet. Kurz nachdem ich eingeliefert wurde, kam meine Tante ins Krankenhaus.
Zu ihrer Ehre muß ich sagen, daß sie einmal kurz geweint hat, und den Rest der
Zeit verbrachte sie damit, mir zu sagen, daß sie es mir prophezeit habe. Ihr
Mißtrauen Dir gegenüber hat mich immer gewundert. Vielleicht haßt sie alle
Männer. Ich hatte gedacht, sie würde sich freuen, wenn jemand käme und sie mich
los wäre.
    Ich war fünf Tage im Krankenhaus. Die Onkel und Cousins paßten auf,
und ich wurde nie allein gelassen. Ein seltsamer Schatz, den sie da bewachten,
da er längst schon gestohlen worden war.
    Ich kam für einen Tag nach Hause und wurde dann von Onkel Brendan
mit dem Auto nach New York gebracht (allein in Connecticut kehrten wir in drei
Bars ein). Die Fahrt war eine Qual, weil mein Körper auf einer Seite von oben
bis unten aufgeschürft war (auch mein Inneres war eine einzige Wunde). Die Tage
vergingen. Irgendwann im März wurden die Verbände abgenommen. Eileen arbeitete
als Masseurin und war den ganzen Tag fort. Ich ging durch die Straßen, als ich
dazu in der Lage war. Ich dachte an Dich. Stundenlang saß ich da, starrte aus
dem Fenster und dachte an Dich. Als ich wieder aufstehen konnte, rief ich Dich
mehrere Tage lang immer wieder an. Aber nie meldete sich jemand. Später schrieb
mir meine Tante, daß Du mit Deiner Familie auf eine Europareise gegangen seist.
Stimmt das? Ich habe am Sonntag vergessen, Dich danach zu fragen. Dann schrieb
meine Tante, Du würdest mit Marissa Markham ausgehen (den wären wir also los
und so weiter). Ihre Motive waren vollkommen durchsichtig, aber ich war

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