Der weiße Klang der Wellen: Roman (German Edition)
aufgepflanzten Bajonetten knieten sich
neben uns nieder und zielten auf die Menge. Niemand wurde getötet, aber
Dutzende wurden verletzt, als sie in den Stacheldraht gedrückt wurden. Später
erfuhren wir, daß die Panik von einem Schwarm Bienen ausgelöst wurde.
Ungeachtet des Durcheinanders donnerten zu Ehren Kenyattas sechs Kampfflugzeuge
über unsere Köpfe hinweg. Während wir zusahen, brach eines aus der Formation
aus und stürzte auf einen nahe gelegenen Golfplatz.
Ich schreibe über diese Ereignisse, wie ich früher Filme oder
Ausflüge zum Strand beschrieben habe. Ich will nicht sagen, daß ich mich an sie
gewöhnt habe, aber sie regen mich nicht mehr auf.
Was mich aufregt, ist meine Liebe zu Dir.
Ich würde gern glauben, daß das, was wir haben, außerhalb der
Realität existiert, etwas ganz Eigenständiges ist, das mit unserem übrigen
Leben nichts zu tun hat. Was für ein dummer und gefährlicher Gedanke, da meine
Liebe doch schon alle Bereiche meines Lebens durchdrungen hat.
Deine
L.
21. Dezember
Liebe Linda,
Du schreibst von Panik und Hysterie, aber ich kann nur an Peter
denken, wie er auf dem Hügel bei Dir ist, wie er Dich in Deinem Haus überrascht
(während ich zu einer aufgebrachten Regina heimkehrte). Mich hat bereits die
Eifersucht erfaßt, eine heftige, verzehrende Eifersucht, die mich zu einem
kleinlichen, elenden und unliebenswerten Wesen erniedrigt. Hast Du mit ihm
geschlafen? In jener Nacht? So kurz nachdem wir zusammen waren? Daß ich kein
Recht habe, eifersüchtig zu sein, tut nichts zur Sache. Es ist ein menschliches
Laster: die dunkle Seite der Liebe. Aber schlimmer noch: ich bin eifersüchtig
auf Deinen Arzt, in den sich alle Frauen verlieben. Gilt das auch für Dich?
Beantworte meine Fragen nicht.
Gestern abend waren Regina und ich bei der Präsentation des Buches ›Die Stille wird sprechen‹ von Errol Trzebinski. Im
wesentlichen handelt es sich um die Biographie von Denis Finch Hatton, Blixens
Liebhaber während der Zeit, als sie auf ihrer Kaffeeplantage lebte, aber das
Buch handelt auch von Blixens eigenem Leben und ihren Schriften über Afrika.
(Vielleicht kennst Du das Buch schon? Ich schicke es Dir jedenfalls mit,
nachdem Du gesagt hast, Du hättest alle Bücher in Njia schon gelesen.) Die
Party fand im Country-Club von Karen statt – der einen nicht weiter
bemerkenswerten Anachronismus darstellt. Praktisch alle Anwesenden waren weiß,
mit einer interessanten Ausnahme. Ein alter Mann, der einen dunklen Anzug und
einen zerknitterten Mantel trug und dessen Stock auf seinem Stuhl lag, saß in
einer Ecke, trank Tee und plauderte mit zwei »kleinen alten Damen« (wie sehr
Frauen es hassen müssen, einmal so bezeichnet zu werden),die pflaumenfarbene
Kostüme und Hüte trugen. Auf den ersten Blick erinnerte mich das Bild an
altjüngferliche Tanten, die bei einem Familienfest mit einem unverheirateten
Onkel tratschen. Aber dann wurde mir gesagt, daß der alte Mann Kamante sei, der
in ›Afrika, dunkel lockende Welt‹ beschriebene treue
Koch von Blixen, ein Mann, dessen Geschichte einen großen Teil des Buchs
einnimmt. Vor fünfzig Jahren, als sie ihn aufnahm, war er ein kleiner Junge,
der verlassen und krank auf ihrem Land Ziegen hütete. Jetzt ist er ein alter
Mann, der Zeuge des erstaunlichen Wandel seines Landes wurde. Vermutlich hatte
man ihn aufgetan, um dem Anlaß eine besondere Note zu geben, jedenfalls
fungierte er als eine Art Ehrengast. Obwohl ich sagen muß, daß er sein
Schicksal, das ihn in diese Ecke verschlagen hatte, um mit zwei Damen, die ihn
zu Blixens Zeiten nicht an ihren Tisch gelassen hätten, über ein nicht mehr
existentes Afrika zu plaudern, relativ gelassen hinnahm.
Ich schreibe Dir jetzt von zu Hause aus, da ich meine Skrupel
inzwischen überwunden habe (die Eifersucht hat sie vertrieben). Unser Haus
steht inmitten von gepflegten Gärten und Akazien- und Eukalyptusbäumen, die die
Villen von Karen beschirmen. Aus den Kaminen kräuselt Rauch in die Höhe,
dahinter erheben sich die vier grünen Buckel der Ngong Berge. Es ist nicht
schwer, sich vorzustellen, in England zu sein. Die Hecken bilden eine Art von
Festung, sind bis zu vier Meter hoch und undurchdringlich, und dazwischen
befinden sich bewachte Tore. Kinder kommen nur auf Einladung zum Spielen. Es
ist ein merkwürdiger Eindruck, all die Schönheit, all der wohlgeordnete
Liebreiz, all die sanfte Gefälligkeit der Landschaft – denn es fällt nicht
schwer, sie für ein böses Tumorgeschwür
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