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Der weiße Klang der Wellen: Roman (German Edition)

Der weiße Klang der Wellen: Roman (German Edition)

Titel: Der weiße Klang der Wellen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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beabsichtigte Untreue zu bestrafen. War er denn nicht
jeden Moment untreu gewesen seit dem Augenblick, als er sie auf dem Markt
entdeckt hatte? Dennoch ließ ihn die Vorstellung nicht los, an einem
verlassenen Ort, wo niemand ihn je fände, im Feuer zu sterben.
    In der Ferne sah er ein Dorf mit grasgedeckten Hütten, daneben einen
Pferch mit Tieren, Rindern, wie er glaubte. Wieder wurde er daran erinnert, wie
schon so oft – wenn auch diesmal mit einer Entschiedenheit, die zu einer Art
endgültigem Schluß führte –, daß man Afrika im Grunde nicht erforschen kann. Es
war uralt und hatte eine Würde, die kein anderer Kontinent besaß. Seine Seele
war unberührt geblieben, trotz all der Wabenzis, der Schweizer Konten und
jugendlichen Parkwächter. Und dieses Unberührte ist es, was sich unserer
Erkenntnis entzieht. Er hatte es auf den Gesichtern der Frauen gesehen, in
ihren unerschütterlich ruhigen Augen im Angesicht von Katastrophen, ebenso im
scheuen Lächeln der Kinder, denen ständig ein Scherz auf den Lippen lag, den
nur sie verstanden. Und er akzeptierte – was Regina mit ihrem akademischen
Auftrag ebensowenig gelang wie dem ständig Urteile fällenden Roland –, daß er,
Thomas, in diesem Land nicht wichtiger war als irgendein Teil dieser Herde von
Gnus, die unter ihm nach Westen zogen (weniger wichtig sogar). Er war einfach
ein Besucher, der schließlich wieder abreisen müßte. So daß er Ndegwa nie
wirklich kennenlernen würde, ebensowenig Mary Ndegwa oder die Frau, die seine
Hemden in der Badewanne wusch (diese Frau am allerwenigsten). Obwohl er
eigenartigerweise das Gefühl hatte, daß diese Menschen ihn kannten, daß er, wie
Regina einmal gesagt hatte, so durchsichtig war wie Glas; daß seine Seele,
trotz all des momentanen Aufruhrs, so leicht durchschaubar war wie Wasser.
    »Sie müssen diesen Gurt festschnallen«, sagte der Pilot neben ihm.
    Als er zur Landung ansetzte, richtete sich der Pilot auf und legte
beide Hände auf den Steuerknüppel, was Thomas beruhigte. Er selbst hätte nicht
Pilot werden können – dafür reichten seine Kenntnisse in Mathematik nicht aus –, doch der Job schien, abgesehen von der Sorge um den ausgefallenen Generator,
Spaß zu machen, ja, sogar aufregend zu sein. Der Pilot deutete auf die Küste,
die sich als pfirsichfarbener Streifen vom flüssigen Blau des Indischen Ozeans
abhob, und während Thomas’ Herz ein wenig schneller zu schlagen begann, als sie
sich dem Ort näherten, an dem er Linda wiedersehen würde, dachte er, wie
ungewiß die ganze Unternehmung war und daß sie fast gar nicht zustande gekommen
wäre. Unglücklicherweise hatte Rich auf der Safari einen heftigen Malariaanfall
bekommen und mußte mit Thomas und Regina nach Nairobi zurückkehren. Nachdem
Rich ins Krankenhaus gebracht worden war und man ihn mit einer Batterie von
Medikamenten wieder nach Hause entlassen hatte, war Thomas gezwungen, einen
Grund zu erfinden, wieder an die Küste zurückzufliegen, von der er gerade
gekommen war. Er verlegte sich auf die kaum glaubwürdige Ausrede, daß sein
neuer Arbeitgeber dies verlangt habe. Es wäre nur eine kurze Reise, erklärte er
Regina; er komme vor Donnerstag schon wieder zurück. Und sie, erschöpft vom
Schmutz und der Langeweile auf der Safari, schien es nicht zu stören, oder,
besser gesagt, gar nicht zu bemerken.
    Das Flugzeug ließ den Kontinent hinter sich, kreiste über dem
Inselarchipel von Lamu und landete in einem Mangrovensumpf in der Nähe von
Manda. Thomas dankte dem Piloten und sagte, er hoffe, daß der Generator bald
repariert werde. Der Pilot (Thomas war überzeugt, daß seine Alkoholfahne vom
Abend vorher stammte) zuckte bloß mit den Achseln. Thomas machte sich auf den
Weg zu der Stelle, wo Dhaus mit großen Lateinersegeln darauf warteten, die
Passagiere nach Lamu-Stadt überzusetzen. Er stellte seinen Rucksack in ein
überfülltes Boot, das ihn an die Flüchtlingsboote aus Vietnam erinnerte, und
gab dem Kapitän achtzig kenianische Shilling. Er fand einen Platz neben einer
Frau, die einen bui-bui, einen Ganzkörperschleier trug, so daß nur ihre
dunklen, kholumrandeten Augen zu sehen waren.
    Als Thomas an Land ging, riefen bereits die Muezzins von den
Minaretten – eine eindringliche und melodische Folge von Vokalen in Molltönen,
die Thomas für immer mit Liebe und Ahnung von Verlust in Zusammenhang bringen
sollte (so nachdrücklich, daß sich ihm in den folgenden Jahren allein beim
Klang eines rufenden Muezzins, der bei

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