Der weiße Reiter
ein. Beocca war inzwischen wieder auf den Beinen und hinkte so schnell er nur konnte auf die Stelle zu,
an der Alfred und die anderen Reiter stehengeblieben waren und in das Tal hinunterschauten. «Wir hätten die Banner mitbringen
sollen», sagte Beocca, als ich ihm die Zügel zurückgab.
«Die Banner?»
«Damit der Fyrd sieht, dass sein König gekommen ist», sagte er atemlos. Alle sollten das Kreuz und den Drachen stolz im Wind
wehen sehen.
In hoc signo!
Alfred wird zum neuen Konstantin, Uhtred, ein Krieger des Kreuzes.
In hoc signo
, Gott sei gepriesen, er sei fürwahr gepriesen.»
Ich hatte keine Ahnung, wovon er sprach, und es kümmerte mich auch nicht. Denn ich hatte die Kuppe erreicht und konnte in
das liebliche Tal der Wilig hinabsehen. Und dort war niemand.
|419| Nichts rührte sich. Da waren nur der Fluss und die Weiden und die Wiese und die Erlen, und ein Fischreiher flog über das satte,
vom Wind bewegte Gras, und auf einer kleinen Anhöhe über der Wilig, dort wo sich ein ganzes Heer hätte sammeln sollen, erhoben
sich die drei Steine des Egbert. Kein einziger Mann war zu sehen. Das Tal war leer.
Die Männer, die wir aus Æthelingæg mitgebracht hatten, zogen ins Tal. Ihnen hatte sich der Fyrd von Sumorsæte angeschlossen.
Zusammen zählten sie etwas über tausend Mann. Nur die Hälfte dazu war geeignet, in einem Schildwall zu kämpfen. Die anderen
taugten lediglich dazu, den Druck abzufangen, dem die vorderen Reihen des Schildwalls durch den herausdrängenden Gegner ausgesetzt
waren.
Ich konnte Alfreds Enttäuschung kaum ertragen. Er sagte kein Wort, doch sein hageres Gesicht war bleich und ausdruckslos,
als er sich mit der Entscheidung darüber abzulenken versuchte, wo die tausend Mann lagern und die Pferde grasen konnten. Von
Leofric, Steapa, Pater Pyrlig sowie zwei Dutzend Männern begleitet, ritt ich auf einen Hügel im Norden. Der Anstieg war sehr
steil, was aber das alte Volk nicht davon hatte abhalten können, eine ihrer seltsamen Grabstätten hoch oben auf der Kuppe
anzulegen. Pater Pyrlig machte einen großen Bogen um das lang hingestreckte Grab. «Da sind lauter Drachen», erklärte er mir.
«Habt Ihr etwa einen Drachen gesehen?», fragte ich.
«Wäre ich dann noch am Leben? Wer einen Drachen sieht, stirbt auf der Stelle.»
Ich drehte mich im Sattel um und starrte auf den Grabhügel. «Ich dachte, dort lägen Tote begraben.»
|420| «So ist es auch. Zusammen mit ihren Schätzen. Und die werden von Drachen bewacht. Dafür sind sie da. Wer hier nach Gold zu
graben wagt, brütet einen Drachen aus, versteht Ihr?»
Nach dem steilen Anstieg hatten wir eine offene Ebene erreicht, von dem sich ein weiter Ausblick nach allen Seiten bot. Ich
hielt nach Dänen Ausschau. Alfred glaubte zwar, dass sie erst in zwei oder drei Tagen auftauchen würden, doch ich war überzeugt,
dass ihre Kundschafter ganz in der Nähe waren, und mochte auch nicht ausschließen, dass unser Lager an der Wilig von einem
Stoßtrupp angegriffen werden könnte.
Doch ich entdeckte niemanden. Im Nordosten lagen sanftgeschwungene Hügel, Schafsweiden; zur anderen Seite hin breitete sich
eine blühende Tiefebene aus, über die Wolkenschatten hinwegjagten und das frische Grün verdunkelten.
«Und jetzt?», fragte Leofric.
«Sag du es mir.»
«Mit tausend Männern? Wir können gegen die Dänen mit tausend Mann unmöglich bestehen.»
Ich sagte nichts. Am Horizont im Norden zogen dunkle Wolken auf.
«Wir sollten von hier verschwinden», sagte Leofric. «Aber wohin?»
«Zurück in die Marschen?», schlug Pater Pyrlig vor.
«Die Dänen werden mit neuen Schiffen kommen», sagte ich, und schließlich werden sie die Marschen besetzen. Wenn sie mit hundert
Schiffen die Flüsse hinauffahren, gehören die Marschen ihnen.»
«Also nach Defnascir», brummte Steapa.
Und dort würde das Gleiche passieren, dachte ich. Wir könnten uns vielleicht für eine Weile in den Wäldern versteckt |421| halten, aber früher oder später würden die Dänen kommen, uns in viele kleine Kämpfe verwickeln und Alfreds Streitkräfte allmählich
ausbluten lassen. Und wenn die Dänen jenseits des Meeres erführen, dass Alfred in eine Ecke von Wessex zurückgedrängt worden
war, würden sie weitere Schiffe schicken und das gute Land besetzen, das er nicht halten konnte. Darum, so fand ich, hatte
er recht, wenn er versuchte, den Krieg mit einem Schlag zu beenden. Er durfte nicht bekanntwerden lassen, wie
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