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Der weiße Reiter

Titel: Der weiße Reiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Cornwell
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schwach Wessex
     inzwischen war.
    Doch wir waren schwach. Wir hatten tausend Mann. Wir waren eine jämmerliche Armee. Wir waren ein Traum, der es plötzlich mit
     der Wirklichkeit zu tun bekam, und da musste ich laut auflachen. «Was ist?», fragte Leofric.
    «Ich dachte gerade an Alfreds unterbittliches Drängen darauf, dass ich lesen lerne», antwortete ich, «und wozu ist es jetzt
     nütze?»
    Er lächelte wissend. Alfred hatte es zur Regel gemacht, dass alle Befehlshaber seiner Streitkräfte lesen konnten, obwohl er
     diese Regel selbst gebrochen hatte, indem er Leofric zum Anführer seiner Leibwache ernannte. All das schien mir in diesem
     Moment sehr komisch. Die ganze Anstrengung, damit ich seine Befehle lesen konnte, obwohl er mir doch nie einen schriftlichen
     Befehl erteilt hatte. Keinen einzigen. «Lesen ist nützlich», sagte Pyrlig.
    «Wozu?»
    Er dachte nach. Der Wind zauste sein Haar und spielte mit seinem Bart. «Man kann all die guten Geschichten in der Heiligen
     Schrift lesen», sagte er dann strahlend. «Und die Lebensbeschreibungen der Heiligen. Sie sind voll von wunderlichen Dingen,
     glaubt mir. Da war zum Beispiel die heilige Donwen. Eine wunderschöne Frau, die ihrem Liebhaber einen Trunk servierte, der
     ihn in Eis verwandelte.»
    |422| «Warum hat sie das getan?», fragte Leofric.
    «Sie wollte ihn nicht heiraten», antwortete Pyrlig. Er wollte uns aufheitern, doch uns stand nicht der Sinn nach Geschichten
     von gefühlskalten Frauen, und so ließ er es dabei bewenden und schaute nach Norden. «Von dort werden sie kommen, nicht wahr?»,
     fragte er.
    «Wahrscheinlich», sagte ich, und dann sah ich sie beziehungsweise das, was ich für sie hielt. In dem Wolkenschatten, der auf
     einem der fernen Hügel lag, glaubte ich eine Bewegung auszumachen. Ich wünschte mir Iseult herbei, denn sie hatte erstaunlich
     scharfe Augen, aber weil der Anstieg auf diese Hügelkuppe nur auf einem Pferd zu schaffen war und kein Pferd für sie zur Verfügung
     stand, hatte sie zurückbleiben müssen. Die Dänen besaßen Tausende von Pferden, gestohlen aus Cippanhamm und anderen Landesteilen,
     und jetzt sah ich Reiter auf dem fernen Hügel, wahrscheinlich Kundschafter, die uns bestimmt längst entdeckt hatten. Und dann
     waren sie wieder weg. Es war nur ein kurzer Augenblick gewesen, und sie waren so weit entfernt, dass ich mir nicht sicher
     sein konnte, was ich da eigentlich gesehen hatte. «Aber vielleicht wollen sie gar nicht kommen», ergänzte ich. «Vielleicht
     wollen sie einen Bogen um uns machen und Wintanceaster und den Rest von Wessex besetzen.»
    «Sie werden kommen», knurrte Leofric, und das glaubte ich im Innersten auch. Die Dänen wussten, wo wir waren, sie würden uns
     zu vernichten suchen, und danach wäre alles ganz einfach für sie.
    Pyrlig schickte sich an zurückzureiten, zügelte dann jedoch wieder sein Pferd. «Es ist also hoffnungslos, nicht wahr?», fragte
     er.
    «Sie haben viermal oder fünfmal so viele Leute wie wir», antwortete ich.
    |423| «Dann müssen wir umso härter kämpfen.»
    Ich lächelte. «Jeder Däne, der nach Britannien kommt, ist ein Krieger», erklärte ich. «Die Bauern bleiben in Dänemark. Und
     nur die Krieger kommen zu uns. Und wir? In unseren Reihen stehen fast nur Bauern, und man braucht drei oder vier Bauern, um
     einen Krieger zu bezwingen.»
    «Ihr seid ein Krieger», erwiderte er. «Ihr beide seid Krieger und versteht es zu kämpfen. Ihr könnt Eure Männer beflügeln
     und anführen und Eure Feinde schlagen. Und Gott steht auf Eurer Seite. Wer könnte Euch, die Ihr unter seinem Schutz steht,
     besiegen? Wollt Ihr ein Zeichen?»
    «Ja, gebt mir ein Zeichen», antwortete ich.
    «Dann seht», sagte er und deutete hinunter in das Tal der Wilig. Ich drehte mein Pferd herum und da, unter der Sonne des Nachmittags,
     war das Wunder, auf das wir gehofft hatten. Männer kamen. Zu Hunderten. Von Osten und von Süden strömten sie von den Hügeln,
     Männer des westsächsischen Fyrds folgten dem Befehl ihres Königs, um ihr Land zu retten.
    «Jetzt steht es schon zwei Bauern gegen einen Krieger», frohlockte Pyrlig.
    «Und wir stehen trotzdem bis zum Hals in der Jauche», sagte Leofric.
    Doch wir waren nicht mehr allein. Der Fyrd sammelte sich.

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    |425| DRITTER TEIL
Der Fyrd
    |427| ZWÖLF
    Die meisten Männer kamen in großen Verbänden, angeführt von ihren Thegn, andere in kleineren Gruppen, und zusammen fügten
     sie sich zu einem stattlichen

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