Der weiße Reiter
Eingeweide eines sterbenden Mannes getreten und
darauf ausgerutscht war. Sein Bein war zur Seite geglitten, und er hatte das Gleichgewicht verloren und mir damit Gelegenheit
gegeben, die Sehnen seines Arms zu durchtrennen. Ich berührte das Hammeramulett. Vielleicht hatten mir die Götter doch noch
ein Zeichen gegeben. «Ein eisenbeschlagener Stiefel?», fragte ich.
Harald nickte. «Auch wenn Ihr ihn noch so oft angreift, er weiß, dass Ihr von seiner linken Seite kommt, und er wird Eure
Schläge mit dem Schwert abwehren, und das ist |185| eine große, schwere Waffe. Es kümmert ihn auch nicht, wenn der eine oder andere Hieb von Euch durchkommt, denn er träfe nur
den Helm, sein Kettenhemd oder den Stiefel. Es ist, als würde man mit seinem Schwert auf eine Eiche losgehen. Und irgendwann,
früher oder später, wird Euch ein Fehler unterlaufen. Dann hat er ein paar blaue Flecken, und Ihr seid tot.»
Ich nahm Haralds Worte ernst. Mit einem Schwert waren einem gepanzerten Mann wirklich kaum mehr als blaue Flecken beizubringen,
weil die Klinge entweder vom Kettenhemd oder vom Helm des Gegners aufgehalten wurde. Ein Kettenhemd lässt sich nicht mit einem
Schwerthieb zerschneiden, und aus diesem Grund zogen auch so viele Männer mit einer Streitaxt in den Kampf. Doch die Regeln
eines gerichtlich beschlossenen Zweikampfes schrieben als Waffen Schwerter vor. Ein Kettenhemd wäre allenfalls mit einem wuchtig
geführten Stoß zu durchbohren, doch Steapa würde sich gewiss davor hüten, mir ein Ziel zu bieten. «Ist er schnell?», wollte
ich wissen.
«Schnell genug», Harald zuckte mit den Achseln. «Vielleicht nicht ganz so schnell wie Ihr, aber alles andere als langsam.»
«Wie stehen die Wetten?», fragte Leofric, obwohl er die Antwort bestimmt genau kannte.
«Auf Uhtred setzt keiner auch nur einen Penny», sagte Harald.
«Ihr solltet es tun», entgegnete ich.
Er lächelte, aber mir war klar, dass er diesem Rat nicht folgen würde. «Am meisten wird es sich für Steapa lohnen, denn Odda
hat ihm für den Fall, dass er Euch tötet, hundert Schillinge versprochen.»
«So viel ist Uhtred doch gar nicht wert», flachste Leofric.
|186| «Warum ist Odda dermaßen erpicht auf meinen Tod?», fragte ich mich laut. Mildrith konnte nicht der Grund sein, und der Streit
darüber, wer Ubba bezwungen hatte, war schon alt. Dennoch trachtete mir der junge Odda weiter nach dem Leben.
Harald ließ sich mit der Antwort Zeit. Er hatte den kahlen Kopf wie zum Gebet gesenkt. Doch dann blickte er auf. «Ihr seid
eine Bedrohung für ihn», sagte er ruhig.
«Ich habe ihn seit Monaten nicht gesehen», widersprach ich. «Wie kann er sich von mir bedroht fühlen?»
Harald wog seine Worte sorgfältig ab. «Der König ist oft krank», sagte er schließlich. «Wer weiß, wie lange er noch leben
wird. Falls er, Gott bewahre, schon bald sterben sollte, wird der Witan nicht seinen Sohn im Säuglingsalter zum König machen.
Sie würden sich für einen Edelmann entscheiden, der sich sein Ansehen auf dem Schlachtfeld erworben hat. Sie würden sich für
einen Mann entscheiden, der etwas gegen die Dänen ausrichten kann.»
«Odda?» Ich lachte bei der Vorstellung von Odda als König.
«Wer sonst?», fragte Harald. «Es sei denn, Ihr würdet vor dem Witan schwören, dass Ihr die Wahrheit über den Kampf gegen Ubba
gesagt habt. Dann würden sie sich vielleicht nicht für Odda entscheiden. Und darum fürchtet er Euch.»
«Also bezahlt er Steapa, um dich in Stücke zu hacken», fügte Leofric düster hinzu.
Dann ging Harald. Er war ein anständiger Mann, aufrecht und arbeitsam und hatte einiges riskiert, um mich aufzusuchen, und
womöglich bereute er es im Nachhinein, weil ich mich für seine Freundlichkeit nicht einmal bedankt hatte. Er hatte sein Bestes
getan, um mich auf den Kampf vorzubereiten, doch für ihn stand offenbar |187| fest, dass ich am Morgen sterben würde. Und trotz Iseults zuversichtlicher Voraussage, dass ich überleben würde, fand ich
in dieser Nacht kaum Schlaf. Es war kalt, und ich war beunruhigt. Aus dem Regen wurde nasser Schnee, Wind pfiff durch alle
Ritzen. In der Frühe hatte es zwar zu schneien aufgehört, aber nun war die Festung in Nebel gehüllt, und von dem bemoosten
Strohdach tropfte es eisig herunter. Zum Frühstück gab es feuchtes Brot, und während ich aß, kam Pater Beocca in den Stall
und sagte, dass mich Alfred zu sprechen wünsche.
Unwirsch fragte ich: «Will er
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