Der weiße Stern: Roman (Knaur TB) (German Edition)
für sie abgeändert worden, und sie sah darin auch nicht wie eine wilde Indianerin aus, sondern wie eine ganz normale junge Frau. Sie war sogar recht hübsch, wie Walther zu seiner Verwunderung bemerkte. Er schob diesen Gedanken beiseite und kam wieder auf seine geplante Fahrt nach San Felipe de Austin zu sprechen.
Gisela hörte ihm kurz zu und schüttelte dann den Kopf. »Ich werde Josef nicht auf eine so anstrengende Reise mitnehmen. Hier kann Nizhoni auf ihn aufpassen und gleichzeitig auch Pepe überwachen, der sich lieber in irgendeiner Ecke schlafen legt, anstatt zu arbeiten.«
»Du willst unser Kind allein mit der Wilden zurücklassen?«, rief Walther entsetzt. »Wenn sie nicht überwacht wird, wird sie auf Nimmerwiedersehen verschwinden und Josef verschmachten lassen.«
»Du hast aber eine sehr schlechte Meinung von der Frau, der wir sein Überleben verdanken!«, fuhr Gisela auf.
Für Augenblicke lag Streit in der Luft, doch dann beruhigte Gisela sich und fasste Walthers Hände. »Du musst Nizhoni vertrauen. Sie sorgt für Josef, als wäre er ihr eigenes Kind, und sie wird ihn niemals im Stich lassen.«
Walther warf der Indianerin, die das Gespräch mit einer gewissen Neugier verfolgt hatte, einen kurzen, prüfenden Blick zu. »Also gut! Es soll so geschehen, wie du willst. Aber ich sage dir eines: Sollte die Indianerin uns enttäuschen, wird sie es bereuen!«
»Sie wird uns nicht enttäuschen«, erklärte Gisela lächelnd und umarmte ihn ein weiteres Mal.
Nizhoni wusste nicht so recht, was sie von dem Ganzen halten sollte. Zwar hatte sie nur Bruchteile von dem verstanden, was die beiden zueinander gesagt hatten, aber durchaus begriffen, dass es um sie ging. Fahles Haar schien unzufrieden mit ihr zu sein, während seine Frau sie glühend verteidigte. Dafür liebte sie die blasse Frau noch mehr, hatte diese sie doch in den letzten Wochen wie eine gute Freundin behandelt und nicht wie eine gekaufte Sklavin.
Mit dem festen Vorsatz, Fahles Haar aus dem Weg zu gehen, wo es nur möglich war, nahm Nizhoni Walther den Jungen ab und wickelte ihn neu. Walther sah ihr zu und fand, dass sie ebenso geschickt wie sorgsam mit dem Kleinen umging. Allerdings wagte Nizhoni nicht, Josef zu liebkosen, da sie nicht wusste, wie dessen Vater darauf reagieren würde.
Gisela fand, dass sie genug geredet hatten, und tischte etwas zu essen auf. »Bald werden wir unseren ersten Mais und unsere ersten Bohnen ernten«, sagte sie.
Ihre Bemerkung erinnerte Walther an Andreas Belcher, und er sagte sich, dass auch er ungestört seinen Mais pflanzen wollte. Aber erst einmal war er froh, wieder zu Hause zu sein, und bedauerte es, mit den Neusiedlern noch ein Dutzend Meilen weiterziehen zu müssen, um ihnen ihre Parzellen zuzuweisen.
6.
W alther lud die Anführer der Siedlergruppen zu sich ein, obwohl die Bewirtung ein markantes Loch in ihre Nahrungsvorräte riss. Doch er hoffte, in San Felipe de Austin Nachschub kaufen zu können. Die Blicke der Männer und Frauen, die mit ihm kamen, wanderten durch den einen Raum, aus dem das eigentliche Haus bisher bestand. Im Gegensatz zu den Gebäuden aus Lehmziegeln, die sie in San Felipe de Guzmán kennengelernt hatten, war ihnen diese Art eines Bauwerks vertraut, und sie fragten Walther um Rat, wie sie vorgehen sollten.
Walther wartete, bis sich alle ihm zuwandten. »Am wichtigsten ist es, eine einfache Hütte zu bauen, damit ihr ein Dach über dem Kopf habt. Danach solltet ihr rasch die Erde bestellen, um Bohnen und anderes Gemüse zu ziehen. Mais hat noch ein wenig Zeit. Bis der gesät werden muss, könnt ihr euch ein richtiges Haus und ein paar Nebengebäude errichten.«
»Wir säen keinen Mais«, erklärte Scharezzani. »Wir haben besten Weizen mit, aus dessen Mehl das beste Brot der Welt gebacken wird.«
»Auf diese Pflanze solltet ihr euch nicht verlassen. Das Saatgut, das Hernando de Gamuzana euch überlassen hat, stammt von hier und ist diesem Land angepasst. Ob euer Weizen gedeiht, müsst ihr erst feststellen.« Walther erklärte noch einige Dinge, die er für wichtig hielt, und warnte erneut vor wilden Tieren und vor Indianern.
»Nicht alle sind feindlich, aber sie verstehen einige Sachen anders als wir. Am besten ist es, ihnen höflich, aber ohne Furcht zu begegnen. Haltet die Waffen für den Fall bereit, dass ihr sie braucht.«
Anders als vor ihrem Aufbruch in San Felipe de Guzmán hörten ihm alle aufmerksam zu. Der Weg hierher hatte Tobolinski, Father Patrick und Beluzzi
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