Der weiße Stern: Roman (Knaur TB) (German Edition)
müssen Sie verstehen! Doch ich verspreche Ihnen, dass ich nicht gegen Sie und die anderen europäischen Siedler vorgehen werde.«
»Und wenn Don Hernando die Waffen gegen Santa Ana erheben würde?«, fragte Walther weiter.
»Don Ramón steht hoch in Präsident Santa Anas Gunst. Ich glaube nicht, dass Don Hernando sich gegen seinen Bruder stellt.«
Jemelin schlug das Kreuz, denn so sicher, wie er tat, war er sich dessen nicht. Doch was auch kommen mochte – er war nicht bereit, für die eine oder die andere Seite die Waffe in die Hand zu nehmen und zu töten.
»Ich bin Haciendero und kein Soldat, Señor Waltero. Ich pflanze meinen Mais und züchte Rinder. Alles andere geht mich nichts an.«
Walther begriff, dass er nicht mehr erreichen konnte. Wenn es hart auf hart kam, würden er und seine Nachbarn sich mit Austins Amerikanern und den wilden Siedlern aus dem Norden zusammentun müssen – damit sie überhaupt eine Chance hatten. Einen Augenblick lang dachte er an Nicodemus Spencer. Die Vorstellung, vielleicht Seite an Seite mit dem Mörder von Giselas Mutter marschieren zu müssen, ließ Übelkeit in ihm hochsteigen. Doch sein Weg war vorgezeichnet, und er konnte nichts anderes tun, als ihn zu beschreiten. Die Alternative wäre, alles aufzugeben, was er sich hier geschaffen hatte, um als Bettler nach Osten zu ziehen.
Bei dem Gedanken fasste er an die Stelle seines Rocks, unter der er den Beutel trug, den Gamuzana ihm gegeben hatte. Es waren über dreitausend Pesos. Vielleicht war es doch besser, mit Gisela und Josef in die Vereinigten Staaten zu ziehen. Mit dem Geld würde er eine neue, wenn auch bescheidene Existenz aufbauen können. Doch sogleich verwarf er diesen Gedanken. Er war mit Gisela übers Meer geflohen, weil es keine Möglichkeit gegeben hatte, in Preußen zu leben. Doch hier gab es eine Zukunft, und er würde sich bis ans Ende seines Lebens als Feigling fühlen, wenn er Männer wie Stephen Austin und Andreas Belcher einen Kampf ausfechten ließ, den er selbst gescheut hatte.
11.
D er Abschied von den Jemelins war kurz, aber herzlich. Rosita drückte ihm noch ein Beutelchen mit Samen in die Hand, so als wolle sie das Schicksal beschwören, ihnen allen Frieden zu schenken, damit Gisela die Pflanzen auch ziehen konnte. Walther dankte ihr, stieg auf sein Pferd und ritt weiter. In den letzten Jahren war er oft bei Jemelin gewesen, doch noch nie hatte er dessen Hacienda mit einem so bitteren Gefühl verlassen wie diesmal. Der Krieg, den er heraufdämmern sah, würde alte Freundschaften zerstören und alles verändern, sei es, dass Santa Ana siegte und alle Nichtmexikaner vertrieb, sei es, dass der Aufstand von Erfolg gekrönt wurde und Santa Anas Anhänger Texas verlassen mussten.
Er fragte sich allerdings auch, was Farmer gegen richtige Soldaten ausrichten konnten. Zwar waren die meisten von ihnen gute Schützen, doch es bedurfte eines besonderen Mutes, in einer Schlachtlinie durch das gegnerische Feuer zu marschieren und den Feind niederzukämpfen. Bilder aus Waterloo, die er für vergessen gehalten hatte, tauchten vor seinem inneren Auge auf. Er sah Oberst von Renitz auf seinem Pferd, hörte das Fluchen ihres Wachtmeisters und fühlte Reint Heurichs Hand auf seiner Schulter.
»Das wird schwer werden, Junge. Beten wir zu Gott, damit uns der Feind nicht gar zu arg zusammenschlägt!«, klang dessen Stimme in seinen Gedanken auf.
Wir sollten wirklich beten, dachte er, denn ohne die Gnade des Himmels blühte ihnen allen ein frühes Ende durch die Kugeln der Mexikaner.
Von trüben Gedanken geplagt, erreichte er schließlich seine Farm. Auch hier war einiges geschehen. Ein hoher Lattenzaun umgab die Gebäude und ließ sich nur durch ein rasch verschließbares Tor passieren. Etliche Pferde standen auf dem Hof, auf dem eifrig gewerkelt wurde. Als die Männer ihn sahen, hielten sie inne und winkten ihm zu.
»Walther! Gott sei Dank bist du heil zurückgekommen«, rief Thierry Coureur, der in der Siedlung als sein Stellvertreter galt.
Walther entdeckte neben Thierry auch Albert Poulain, den ehemaligen Matrosen Lucien, zwei junge Iren aus Father Patricks Gemeinde, Tonino Scharezzani und einen der Söhne von Krzesimir Tobolinski.
Er stieg aus dem Sattel und wurde von Thierry voller Überschwang umarmt. »Willkommen zu Hause! Wie du siehst, sind wir fleißig gewesen. Sollte dieser elende Capitán zurückkommen, wird er sein blaues Wunder erleben.«
»Ich danke euch!«, sagte Walther und begrüßte nun
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