Der weite Himmel: Roman (German Edition)
daß sie sich ansehen konnten. »Nicht!« Er brachte das Wort nur mühsam heraus, da ihre Finger sich an seiner Gürtelschnalle zu schaffen machten. »Das muß uns im Augenblick reichen. Halt dich an mir fest, Tess. Halt dich einfach nur an mir fest und laß mich dich küssen.«
Sie hätte trotzdem weiterhin ihre Verführungskünste spielen lassen, wenn er sie nicht so fest gehalten hätte, daß sie sich kaum rühren konnte, während er gierig ihren Mund erforschte. Ihr Hut fiel herunter und landete im Staub, und ihr Herz begann wie wild zu schlagen. Doch plötzlich änderte sich sein Verhalten, und sein Kuß wurde sanft, so zärtlich wie die Luft in den Bergen.
»Ich liebe dich.« Er hatte es eigentlich gar nicht laut aussprechen wollen, aber das Gefühl war inzwischen so übermächtig geworden, daß er es nicht länger für sich behalten konnte und seine Lippen die Worte wie von selbst formten.
»Wie bitte?« Tess sah ihn verträumt und ein wenig verwirrt an. »Was hast du gerade gesagt?«
»Ich liebe dich!«
Tess wurde schlagartig aus ihrem weltentrückten Zustand gerissen und mit der Realität konfrontiert. Sie hatte diese drei Worte schon früher gehört; es fiel ja so leicht, sie
auszusprechen. Für die meisten Menschen bedeuteten sie wenig mehr als eine bloße Floskel. Aber nicht für ihn. Nicht für einen Mann wie Nate.
»Ich glaube, die Sache läuft ein bißchen aus dem Ruder.« Sie lächelte gequält und versuchte, einen betont oberflächlichen Tonfall anzuschlagen. Es wollte ihr nicht recht gelingen. »Nate, wir sind doch nur …«
»Vorübergehend Bettgenossen?« ergänzte er und hätte sich im selben Moment am liebsten die Zunge abgebissen, weil er den Satz beendet hatte. »Zwei Menschen, die sich zufällig sexuell gut verstehen? Nein, Tess, das ist nicht alles.«
Sie holte einmal tief Atem und sprach ruhig und bestimmt weiter. »Ich denke, wir sollten jetzt lieber absteigen.«
Anstatt sich ihrem Wunsch zu beugen, legte er seine Hand unter ihr Kinn und sah ihr lange in die Augen. »Ich liebe dich, Tess, und zwar schon seit geraumer Zeit. Ich bin gerne bereit, dir zuliebe einige Kompromisse einzugehen, aber für mich läuft es auf folgendes hinaus: Ich möchte, daß du hierbleibst, mich heiratest und eine Familie mit mir gründest.«
Nun verlor sie vollends die Fassung. »Du weißt genau, daß ich das nicht …«
»Du hast ja noch Zeit, um dich an die Vorstellung zu gewöhnen«, unterbrach er sie und stieg vom Pferd. »Ich habe mir in meinem Leben nur wenige Dinge wirklich gewünscht«, sagte er, ohne den Blick von ihrem verblüfften Gesicht zu wenden. »Meine Zulassung als Anwalt, diese Ranch, eine gute Pferdezucht. Ich habe alles bekommen. Und jetzt will ich dich.«
Die Arroganz, die aus seinen Worten sprach, half ihr, den Schock zu überwinden. Heiße Wut stieg in ihr auf. »Nimm bitte zur Kenntnis, daß ich weder ein Diplom noch eine Ranch, noch eine Zuchtstute bin!«
»Nein, das bist du nicht.« Ein Lächeln spielte um seine Lippen, als er sie vom Pferd hob. »Du bist eine Frau; eine realistisch denkende, ehrgeizige und starrsinnige Frau. Und du wirst meine Frau werden.«
»Würde es dich interessieren, was ich von deinem plötzlichen Machogehabe halte?«
»Das kann ich mir lebhaft vorstellen.« Nate streifte dem Jährling das Zaumzeug ab und gab ihm einen leichten Schlag auf die Flanke. Das Pferd trottete gemächlich von dannen. »Du solltest jetzt besser nach Hause fahren und in Ruhe über alles nachdenken.«
»Darüber brauche ich nicht mehr nachzudenken.«
»Ich lasse dir trotzdem Zeit dazu.« Er blickte zum Himmel empor. Die Sonne stand gerade im Begriff, hinter den westlichen Gipfeln zu versinken, und die Wolken färbten sich langsam blutrot. »Es wird Regen geben«, bemerkte er beiläufig, als er über den Zaun sprang. Tess konnte ihm nur sprachlos nachblicken.
»Ich weiß zwar nicht, warum dich im Moment die Fliege an der Wand ärgert«, brummte Willa, »aber reiß dich zusammen. Lily wird jeden Augenblick mit ihrer Familie hier sein.«
»Du bist nicht die einzige, der es gestattet ist, Probleme zu wälzen.« Tess stopfte sich mit finsterem Blick ein Petit four in den Mund.
Das ganze Haus war mit weißen Girlanden geschmückt, überall hatte man bunt verpackte Geschenke aufgebaut, und durcheinanderschwatzende Frauen drängten sich in den Räumen. Die Idee, zum Hochzeitsempfang Champagnerbowle zu servieren, stammte gleichfalls von Tess, und obwohl Bess der Form halber
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