Der weite Himmel: Roman (German Edition)
in Weiß zu träumen.
Vor der Tür blieb sie stehen und preßte eine Hand gegen ihren nervösen Magen. Erst als sie sich wieder so weit gefaßt hatte, ihren Mitmenschen gegenübertreten zu können, betrat sie das Haus und sah sich einer schluchzenden Adele gegenüber,
die, auf Louellas Arm gestützt, die Treppe herunterkam.
»Was ist los? Ist etwas passiert?« Willa machte sich bereit, sofort zum Waffenschrank zu rennen, doch Louella lächelte sie beruhigend an.
»Nichts ist los. Adele hat nur den typischen Brautmutter-Katzenjammer.«
»Hat sie nicht reizend ausgesehen, Louella? Wie ein Engel. Mein kleines Mädchen.«
»Die schönste Braut, die ich je gesehen habe. Wir zwei, wir werden gleich eine Flasche Schampus aufmachen und auf sie anstoßen.« Im Gehen tätschelte sie Adeles Rücken. »Will, geh bitte nach oben, Lily hat darum gebeten.«
»Und ich sollte Rob suchen.«
»Männer machen solche Momente leider nicht durch, Addy.« Louella dirigierte sie in Richtung Küche. »Wir machen uns auf die Suche, nachdem wir ein, zwei Gläschen auf das Wohl der Braut getrunken haben. Geh rauf, Will. Lily wartet auf dich.«
»In Ordnung.« Willa schüttelte amüsiert und zugleich verwirrt den Kopf und fragte sich, was diese beiden charakterlich so verschiedenen Frauen verband. Ihre Verwunderung hatte sich noch nicht ganz gelegt, als sie die Tür zu Lilys Zimmer öffnete und wie vom Blitz getroffen stehenblieb.
»Na, was sagst du nun?« fragte Tess begeistert, während sie Lily den Schleier richtete. »Wie findest du sie?«
»Mein Gott, Lily, du siehst wundervoll aus. Wie eine Märchenprinzessin.«
»Ich wollte unbedingt ein weißes Kleid tragen.« Lily wirbelte vor dem großen Drehspiegel einmal um die eigene Achse. Die Frau, die ihr aus dem Glas entgegenlächelte, war in der Tat bildschön in dem weichfließenden weißen Satinkleid mit dem spitzenverzierten, mit kleinen schimmernden Perlen bestickten Mieder. »Es ist zwar schon meine zweite Ehe, aber trotzdem …«
»Aber nein.« Tess bürstete ein Stäubchen von dem langen Ärmel des Brautkleides. »Deine frühere Ehe ist bedeutungslos geworden, diese Hochzeit ist deine erste.«
»Meine erste Hochzeit.« Lächelnd zupfte Lily an dem Schleier, der ihr über die Schultern floß. »Ich bin nicht einmal aufgeregt, obwohl ich vorher befürchtete, vor Nervosität kein einziges Wort herausbringen zu können.«
»Ich habe noch etwas für dich.« Willa, die äußerst nervös war, hielt Lily eine kleine, mit Samt überzogene Schachtel hin, die sie bislang hinter ihrem Rücken versteckt gehalten hatte. »Du brauchst sie nicht zu tragen, wenn du nicht willst. Aber als Tess mir erzählte, daß dein Kleid mit Perlen besetzt ist, habe ich mich an diesen Schmuck erinnert. Er gehörte meiner Großmutter. Unserer Großmutter«, berichtigte sie sich und drückte Lily die Schachtel in die Hand. Ihre Schwester seufzte verzückt, als sie den Deckel aufklappte. Die Ohrringe bestanden aus tropfenförmigen, mattglänzenden Perlen, die von einer wunderschönen altmodischen Filigranfassung gehalten wurden. Ohne Zögern nahm sie die Clips ab, die sie passend zu ihrem Kleid erstanden hatte, und legte Willas Geschenk an.
»Sie sind herrlich, Will. Vielen, vielen Dank.«
»Und sie stehen dir sehr gut.« Der Schmuck war für zarte, zierliche Frauen wie Lily gemacht worden, dachte Willa mit einem Anflug von Neid, nicht für den robusten Typ, wie sie ihn verkörperte. »Ich bin sicher, unsere Großmutter hätte gewünscht, daß du sie bekommst. Ich kannte sie zwar nicht und weiß nicht viel von ihr, aber … herrje, ich habe heute furchtbar nah am Wasser gebaut.«
»Das haben wir alle, aber dagegen weiß ich ein ausgezeichnetes Mittel.« Tess reichte Willa ein Papiertaschentuch hinüber. »Ich hab’ eine Flasche Champagner stibitzt und im Badezimmer versteckt, damit Bess nichts merkt. Ich finde, wir haben uns ein Gläschen verdient.«
Willa kicherte, als Tess im angrenzenden Bad verschwand. »Ganz die Mama.«
»Nochmals danke, Willa.« Lily berührte die Ohrgehänge. »Nicht nur hierfür, sondern für alles.«
»Nicht, Lily, sonst fange ich gleich wieder an. Immerhin genieße ich hier einen gewissen Ruf, aber bestimmt nicht den einer Heulsuse.« Erleichtert vernahm sie das Knallen des
Korkens im Badezimmer. »Wenn die Männer erst einmal meine Schwachstellen herausbekommen haben, sind sie überhaupt nicht mehr zu ertragen.«
»So, da bin ich wieder.« Tess brachte drei Gläser und
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