Der weite Himmel: Roman (German Edition)
eine Frau, die zu tanzen versteht.« Er nahm von einem vorbeieilenden Kellner zwei Gläser entgegen und wies dann auf Louella. Tess’ Mutter trug ein enges pinkfarbenes Kleid sowie gleichfarbige Stilettos. Sie war gerade dabei, mit Bens Vater eine heiße Sohle aufs Parkett zu legen. Mindestens ein Dutzend Cowboys standen daneben, scharrten mit den Füßen und warteten darauf, daß sie an die Reihe kamen. »Das ist ja dein alter Herr.«
»Korrekt.«
»Sieh dir an, wie er loslegt!«
»Er wird zwar eine Woche lang Muskelkater haben, aber das dürfte ihm die Sache wert sein.«
Lachend griff Willa nach Bens Hand und zog ihn mit sich, um besser sehen zu können. Gemeinsam beobachteten sie, wie ein Cowboy von einer benachbarten Ranch Louella um die Taille faßte und zu flotten Twosteprhythmen herumwirbelte, während Stu McKinnon sich mit seinem Taschentuch den Schweiß vom Gesicht wischte.
»Sie wird durchhalten bis zum bitteren Ende«, unkte Tess düster.
Nate zwinkerte Ben zu und sah Stu nach, der sich ein Bier holen ging. »Hat sie dir auch beigebracht, so zu tanzen, Tess?«
»Dazu habe ich noch nicht annähernd genug getrunken.«
Tess nahm Willa das Glas aus der Hand, leerte es in einem Zug und reichte es ihrer Schwester zurück. »Aber gib mir noch etwas Zeit. Was nicht ist, kann ja noch werden.«
»Ich bin ein geduldiger Mann. Das ist die gelungenste Hochzeitsfeier, an der ich je teilgenommen habe, Will. Du und deine Helfer, ihr habt euch selbst übertroffen.« Als Louella ihm vergnügt auf die Schulter schlug, stöhnte er auf.
»Du bist dran, mein Süßer.«
»Louella, selbst wenn ich vier Füße hätte, könnte ich mit dir nicht mithalten. Du bringst in deinem Restaurant garantiert jeden auf Trab.«
»Restaurant? Unsinn!« Louella prustete vor Lachen und packte ihn bei der Hand. »Ich führe einen Stripteaseschuppen, mein Lieber. Jetzt komm, ich bring’ dir ein paar neue Schritte bei.«
»Einen Stripteaseschuppen?« Willa runzelte die Brauen, als Louella Nate zur Tanzfläche zerrte.
»O Scheiße!« Tess stieß einen gottergebenen Seufzer aus. »Hol mir bitte noch einen Drink, Ben. Ich kann ihn gebrauchen.«
»Kommt sofort!«
»Ein Stripteaselokal?« Willa blieb hartnäckig.
»Na und? Man kann davon leben.«
»Wie läuft das denn so? Ich meine, ziehen sie sich da ganz aus und tanzen splitterfasernackt herum?« Ihre Augen wurden groß, aber nicht vor Entsetzen, sondern vor blanker Neugier. »Tanzt Louella …?«
»Nein.« Tess entriß Ben das Glas und nahm einen großen Schluck. »Zumindest nicht mehr, seit sie ihren eigenen Nachtclub hat.«
»Ich war noch nie in so einem Etablissement.« Ein Besuch würde sich bestimmt als äußerst interessant erweisen, dachte Willa entzückt. »Beschäftigt sie auch Männer? Nackttänzer?«
»Gütiger Himmel.« Tess reichte ihren Drink an Willa weiter. »Nur bei Damenabenden. Ich gehe lieber und rette Nate, bevor sie ihn unter Vertrag nimmt.«
»Damenabende.« Die Vorstellung erschien Willa ausgesprochen verlockend. »Doch, ich glaube, ich würde auch dafür
bezahlen, einen Mann nackt tanzen zu sehen.« Sie wandte den Kopf und bedachte Ben mit einem langen, abschätzenden Blick.
»O nein, nicht für alles Geld der Welt.«
Vielleicht würde ihm eine andere Art von Bezahlung besser gefallen, dachte sie und legte ihm lachend den Arm um die Taille, um dann die Show weiter zu verfolgen.
Auch ein anderer genoß das Fest und empfand eine tiefe Freude, als er die hübsche Braut in ihrem weißen Kleid und dem wallenden Schleier beobachtete. Sie war strahlend glücklich, wie eine Braut sein sollte. Die Musik war gut, Essen und Trinken in Hülle und Fülle vorhanden. Die Atmosphäre stimmte ihn sentimental; wehmütig und stolz zugleich.
Er allein hatte es ermöglicht, daß dieser Tag überhaupt stattfinden konnte, und er genoß die Befriedigung, die ihm dieses Wissen verlieh. Sein Leben war lange Zeit nicht gut verlaufen, so vieles, was er sich gewünscht hatte, war ihm verwehrt geblieben. Aber diese Aufgabe hatte er erfolgreich durchgeführt.
Vielleicht würde nie jemand davon erfahren; vielleicht mußte er sein Geheimnis für immer für sich bewahren, wie ein Romanheld, wie ein moderner Robin Hood, der auf keinen persönlichen Vorteil aus war. Das war etwas, worüber er nachdenken mußte.
Lilys Rettung hatte seine Richtung und sein Ziel verändert, nicht aber seine Mittel.
Bei dem Gedanken, daß sich Polizisten unter den Hochzeitsgästen befanden, mußte
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