Der weite Himmel: Roman (German Edition)
Füllen, der ihm half, Draht zu spannen, und ihm dabei die Ohren vollschnatterte.
Und an die Frau, die ihn heute abend voller Liebe angeblickt hatte, als sie erklärte, er sei es, der ihr am Herzen liegen würde.
Entschlossen ignorierte er den Schmerz, der wie ein Krebsgeschwür an ihm fraß, und rappelte sich von neuem hoch.
Er konnte das Hauptgebäude erkennen, die erleuchteten Fenster tanzten wie kreisende Sterne vor seinen Augen. Blut tropfte von seinen Fingern auf ihren Hut. Kurz darauf brach er zusammen und verlor das Bewußtsein.
Willa kam langsam wieder zu sich. Ihr Kopf hämmerte, und sie konzentrierte sich auf den Boden, der vor ihren Augen auf und ab zu hüpfen schien. Dann versuchte sie, sich zu bewegen, erkannte aber, daß sie auf einem Sattel festgebunden war und ihr Kopf lose nach unten baumelte. Sie mußte wohl unwillkürlich gestöhnt oder sonst einen Laut von sich gegeben haben, denn die Pferde wurden sofort zum Stehen gebracht.
»Alles in Ordnung, Will. Du bist okay.« Er löste die Fesseln von ihren Beinen, doch ihre Hände gab er nicht frei.
»Wir müssen noch ein Stück weiterreiten. Hältst du das aus?«
»Was?« Benommen spürte sie, wie sie hochgehoben und rittlings in den Sattel gesetzt wurde. Sie schüttelte ein paarmal den Kopf, um wieder klar denken zu können, während er ihr die Hände an den Sattelknauf band.
»Komm erst einmal wieder zu dir. Ich führe dein Pferd.«
»Was tust du da?« Die Erinnerung kehrte langsam zurück, doch ihr Verstand weigerte sich, das Unfaßbare zu akzeptieren. »Ham?«
»Ich konnte nichts dagegen tun. Es kam eben über mich. Wir werden über all das sprechen. Jetzt …« Er brach ab und zog sie an den Haaren nach unten, als sie tief Atem holte. »Komm nicht auf die Idee zu schreien. Hier hört dich zwar niemand, aber ich will nicht, daß du schreist.« Leise vor sich hinmurmelnd, zog er ein Tuch aus der Tasche und knebelte sie rasch und geschickt damit. »Es tut mir leid, daß ich im Moment so grob mit dir umgehen muß, aber du verstehst noch nichts.«
Er unterdrückte bewußt den aufwallenden Zorn auf sie, ging zu seinem Pferd zurück, stieg auf und ritt in den Wald hinein.
Nun, Willa war die Lust zum Schwimmen offenbar vergangen, dachte Tess, als sie den Gürtel ihres kurzen Frotteemantels enger zog, sich mit den Fingern durch das Haar fuhr, um es zu bändigen, und dann in Richtung Küche schlenderte.
Vermutlich hatte sie sich wieder in ihren Schmollwinkel zurückgezogen. Willa fraß immer alle Sorgen und Probleme in sich hinein. Es wäre keine schlechte Idee, ihr ein paar Entspannungsübungen beizubringen – obwohl sich Tess beim besten Willen nicht vorstellen konnte, wie Willa im Schneidersitz auf dem Boden saß und meditierte.
Ein kräftiger Regenguß würde sie fröhlicher stimmen, vermutete Tess. Himmel, jeder hier in der Gegend richtete sein ganzes Leben nur nach dem Wetter aus. Es war entweder zu feucht oder zu trocken, zu kalt oder zu heiß. Normalität
gab es nicht. Na ja, in zwei Monaten hieß es adieu, malerisches Montana, und hallo, L. A.
Lunch im Freien. Cartier. Nach dieser einjährigen Verbannung aus der wirklichen Welt hatte sie es redlich verdient, sich mit einem teuren Schmuckstück zu verwöhnen.
Theater. Palmen. Ständig verstopfte Straßen und der altvertraute Dunstschleier, hervorgerufen von den Abgasen Tausender und aber Tausender Autos.
Gutes altes Hollywood.
Als ihr aufging, daß der Gedanke an eine Rückkehr nicht mehr ganz so verlockend erschien wie noch vor einem Monat – oder dem Monat davor –, zog sie einen Flunsch.
Unsinn. Sie würde überglücklich sein, wenn sie erst wieder zu Hause war. Begeistert. Im Augenblick fühlte sie sich nur ein wenig niedergeschlagen, das war alles. Allerdings würde sie sich vielleicht lieber ein Haus in den Bergen kaufen anstatt am Meer. Dort konnte sie sich ein Pferd halten und lebte mitten im Grünen. Auf diese Weise genoß sie die Vorteile beider Welten, konnte einen kurzen, aufregenden Ausflug in die Stadt unternehmen, einkaufen, sich amüsieren und dann nach Hause fahren, zurück in die Natur, die sie so schätzen gelernt hatte.
Zugegeben, die Berge um Hollywood waren, gemessen am Montana-Standard, nicht gerade als ländlich-sittlich zu bezeichnen, aber sie würde sich dort bestimmt wohl fühlen.
Vielleicht konnte sie Nate dazu überreden, sie ab und an dort zu besuchen. Sicher, im Laufe der Zeit würde ihre Beziehung langsam abkühlen. Sie rechnete damit,
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