Der weite Himmel: Roman (German Edition)
Sinne beieinander hatte, um scharf und logisch denken zu können. Diesmal kannte sein Gegner die Gegend so gut wie er
selbst, war beritten und wußte sich in der freien Natur zu helfen. Ben durfte sich nicht darauf verlassen, daß Willa ihn absichtlich am Vorwärtskommen hinderte oder Zeichen hinterließ. Er wußte ja nicht, ob sie überhaupt noch …
Nein, er weigerte sich, diese Möglichkeit in Betracht zu ziehen. Er würde sich voll und ganz darauf konzentrieren, sie zu finden, und würde nur daran denken, was er dann mit ihrem Peiniger anstellen würde.
Charlie blieb an einem Wasserlauf stehen und gab seinem Herrchen winselnd zu verstehen, daß er die Fährte verloren hatte. Ben trieb sein Pferd ins Wasser und verharrte dort einen Moment, lauschte ins Dunkel, plante den nächsten Schritt und betete. Bestimmt war sein Gegenspieler dem Flüßchen eine Weile gefolgt.
Er hätte sich jedenfalls so verhalten. So setzte Ben sein Pferd wieder in Bewegung. Da es nicht geregnet hatte, führte der Fluß nur wenig Wasser, so daß er gut vorankam. Über ihm donnerte es, und ein Vogel kreischte furchtsam auf. Ben bekämpfte den Drang, sein Pferd zu einer schnelleren Gangart anzutreiben. Er mußte seine Ungeduld zügeln, durfte nichts überstürzen. Erst mußten sie die Spur wiederfinden.
Am Ufer sah er etwas glitzern. Sofort sprang er vom Pferd. Kaltes Wasser umspülte seine Stiefel, als er durch das Flüßchen watete und sich bückte, um den Gegenstand aufzuheben. Es war ein Ohrring, ein schlichter, schmaler Goldreif. Ben atmete tief aus und schloß die Hand um seinen Fund. Willa hatte seit einiger Zeit eine Vorliebe für Schmuck entwickelt; ein Anflug weiblicher Eitelkeit, der ihn entzückte, weil er ihrer üblichen Kleidung, bestehend aus Jeans und Leder, einen femininen Touch verlieh. Außerdem fühlte er sich geschmeichelt, weil sie ihm gefallen wollte.
Sorgsam verstaute er den Ohrring in seiner Hemdtasche und stieg wieder auf sein Pferd. Wenn sie gewitzt genug war, ihm Zeichen zu hinterlassen, dann würde es leichter sein, ihnen zu folgen. Er lenkte das Pferd zum Ufer und ließ Charlie erneut die Witterung aufnehmen.
»Nein, das hätte er nicht tun dürfen.« Jims Stimme überschlug sich fast, während er an Willas Fußfesseln herumsäbelte. »Er wollte mir dadurch nur beweisen, daß er sich einen Dreck um mich scherte. Um dich übrigens auch.«
»Ich weiß.« Tränen stiegen ihr in die Augen, doch nicht aus Mitgefühl, sondern aus schierer Erleichterung. Sie beugte sich vor und versuchte, mit ihren gebundenen Händen ihre Beine zu massieren, die inzwischen taub geworden waren. »Keiner von uns hat ihm je etwas bedeutet.«
»Zuerst wurde ich damit nicht fertig. Pickles und ich hielten uns gerade in der Hütte auf, als ich es erfuhr, und da bin ich wohl ein bißchen durchgedreht. Deshalb habe ich auch den Ochsen getötet. Ich mußte einfach irgendein Lebewesen umbringen. Doch dann begann ich, über alles nachzudenken. Ich mußte es ihm heimzahlen, Will, mußte ihn für das, was er mir angetan hat, büßen lassen. Erst wollte ich auch dich bestrafen, und vor allen Dingen Tess und Lily. Ich fand, sie hatten kein Recht auf das, was eigentlich mir gehörte, auf das, was er mir hätte hinterlassen sollen. Ich wollte sie vertreiben. Niemand würde etwas bekommen, wenn ich ihnen solche Angst einjagte, daß sie die Ranch verließen. Und so kam mir die Idee, die tote Katze auf die Veranda zu legen. Es gefiel mir, wie Lily bei diesem Anblick gekreischt und geschluchzt hat. Heute wünschte ich, ich hätte ihr das erspart, aber damals betrachtete ich sie noch nicht als meine Schwester. Ich wollte nur, daß sie dahin zurückging, wo sie hergekommen war.«
»Kannst du mir nicht die Fesseln abnehmen, Jim? Bitte, meine Arme sind schon total verkrampft.«
»Es geht nicht. Noch nicht. Du verstehst den Zusammenhang noch nicht ganz.«
»Ich glaube doch.« Mittlerweile konnte sie die Beine wieder bewegen. Sie kribbelten zwar höllisch, weil das Blut wieder in den Adern zu zirkulieren begann, aber sie war sicher, flüchten zu können, sollte sich die Chance dazu ergeben. »Er hat deine Gefühle mit Füßen getreten, also wolltest du ihn deinerseits an einer empfindlichen Stelle treffen.«
»Ich mußte es tun. Welcher Mann würde denn eine solche
Behandlung ungestraft hinnehmen? Aber wenn ich ehrlich sein soll, Will, dann muß ich gestehen, daß mir das Töten Spaß macht. Vermutlich habe ich diese Eigenschaft auch von ihm
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