Der weite Himmel: Roman (German Edition)
hastigen Zug. Rauchen war eine Angewohnheit, die sie nicht schätzte – welcher vernünftige Mensch tat das schon? Also entweder der Glimmstengel oder jede Menge Kalorien, die noch auf ihrem Teller lauerten. »Ich bekomme ein Drittel von der Ranch.«
»Ein Drittel von der – ach du meine Güte! Tess, Schätzchen,
das ist ja ein Vermögen!« Trotz ihrer Statur konnte sie sich dank ihrer Ausbildung als Tänzerin überraschend schnell bewegen. Sie glitt um den Tisch herum und drückte ihre Tochter begeistert an sich. »Und wir sitzen hier und trinken Kaffee! Champagner muß her. Carmine hat noch welchen versteckt.«
»Warte, Mom, warte.« Als Louella die Kühlschranktür aufriß, zupfte Tess sie am Kaftan. »So einfach ist das nicht.«
»Meine Tochter, die Millionärin! Die Rinderbaronin!« Louella entkorkte die Flasche, so daß der Champagner nur so spritzte. »Ich fasse es nicht!«
»Ich muß ein Jahr lang dort leben.« Tess hielt den Atem an, als Louella achtlos die Flasche an den Mund setzte und den überquellenden Schaum abtrank. »Wir müssen alle drei ein Jahr lang zusammen auf der Ranch leben, oder wir schauen alle in die Röhre.«
Louella leckte sich Champagner von den Lippen. »Du mußt ein Jahr lang in Montana leben? Auf der Ranch?« Ihre Stimme überschlug sich fast. »Unter Rindern? Du, unter Rindern?«
»So lautet die Bedingung. Ich und die beiden anderen. Gemeinsam.«
In einer Hand noch immer die Flasche haltend, stützte sich Louella mit der anderen auf der Ablage ab und begann zu lachen. Sie lachte so heftig, daß ihr die Tränen in die Augen traten und über die Wangen rollten. Eine Spur, bestehend aus Mascara und Puder, blieb zurück.
»Herrgott noch mal, der Mann hat es schon immer geschafft, mich zum Lachen zu bringen.«
»Ich freue mich, daß ich zu deiner Belustigung beitragen konnte.« Tess’ Stimme klang frostig. »Du kannst ja gelegentlich an mich denken, wenn ich am Ende der Welt versauere, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen.«
Louella goß schwungvoll Champagner in die Kaffeetassen. »Schätzchen, du kannst ihm jederzeit eine lange Nase zeigen. Bleib einfach hier.«
»Ich soll ein paar Millionen Dollar aufgeben? Nie im Leben!«
»Nein.« Ernüchtert musterte Louella ihre Tochter, dieses geheimnisvolle Wesen, dem sie das Leben geschenkt hatte. So hübsch, dachte sie, so beherrscht und so selbstsicher. »Nein, das würdest du nicht tun, dafür bist du viel zu sehr die Tochter deines Vaters. Du wirst das Jahr schon überstehen, Tess.«
Vielleicht würde ihre Tochter in dieser Zeit ja noch mehr gewinnen als ein Drittel Anteil an einer Ranch. Würde dieses Jahr die rauhen Kanten glätten oder noch schärfen?
Sie hob beide Tassen und reichte eine an Tess weiter. »Wann geht es denn los?«
»Morgen früh.« Tess seufzte. »Ich werde mir wohl oder übel ein Paar Stiefel anschaffen müssen«, brummte sie. Dann prostete sie ihrer Mutter lächelnd zu. »Ach, was soll’s. Es ist ja nur für ein Jahr.«
Während Tess sich in der Küche ihrer Mutter mit Champagner stärkte, stand Lily am Zaun einer Weide und sah den grasenden Pferden zu. Noch nie hatte sie etwas Schöneres gesehen als die im Wind flatternden Mähnen der Tiere und im Hintergrund der Weide das aufragende Bergmassiv.
Zum ersten Mal seit Monaten hatte sie die Nacht durchgeschlafen, ohne Tabletten und ohne Alpträume. Allein die Stille hier beruhigte sie.
Auch jetzt war alles still. Aus der Ferne klang das Dröhnen von Maschinen herüber. Sie hatte gehört, wie Willa sich mit einem ihrer Männer heute morgen über die Ernte unterhalten hatte, doch sie wollte vermeiden, im Weg zu sein. Lieber blieb sie mit den Pferden allein, wo sie niemanden störte und belästigte.
Seit drei Tagen war sie sich selbst überlassen. Niemand sagte etwas, wenn sie durch das Haus streifte oder die Ranch erkundete. Die Männer tippten grüßend an den Hut, wenn sie vorbeikam. Sie war überzeugt, daß hinter ihrem Rücken Kommentare gemacht wurden, doch das störte sie wenig.
Die Luft roch frisch und klar, und wo sie auch hinschaute, entdeckte sie die Schönheiten der Natur – einen Bach, der gurgelnd über Felsgestein floß, einen Vogel im Wald, Wild,
das zur Tränke kam. Ein Jahr hier leben zu dürfen erschien ihr wie die Verheißung des Paradieses.
Adam blieb, mit einen Eimer in der Hand, einen Augenblick stehen und beobachtete sie. Er wußte, daß sie jeden Tag hierherkam; er hatte oft gesehen, wie sie das Haus verließ, an
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