Der weite Himmel: Roman (German Edition)
sie den Rauch aus. »Himmel, war das eine Frau! Mußte in ihrer Gegenwart auf meine Ausdrucksweise achten, das kann ich dir sagen. Trotzdem hab’ ich sie bewundert – sie hielt das Haus tipptopp in Ordnung und ließ sich von Jack nichts bieten.«
»Soweit ich das beurteilen kann, hat sich daran nichts geändert.«
»Ein tolles Haus. Und eine tolle Ranch.« Louellas rotgeschminkte Lippen verzogen sich bei der Erinnerung leicht. »Auch das Land hatte einen gewissen Reiz, obwohl ich nicht gerade traurig bin, daß ich nur einen Winter dort verbracht habe. Man ist ja fast im Schnee erstickt.«
»Mom, warum hast du ihn eigentlich geheiratet?« Als Louella eine Augenbraue hob, rutschte Tess unbehaglich auf ihrem Stuhl hin und her. »Ich weiß, daß ich dich nie danach gefragt habe, aber jetzt möchte ich es gerne wissen.«
»Das ist eine einfache Frage, auf die es eine einfache Antwort gibt.« Louella gab reichlich Zucker in ihren Kaffee. »Der Mann hatte einen ungeheuren Sex-Appeal. Allein wie er dich ansah, als könne er dir mitten ins Herz blicken. Und wie er den Kopf zur Seite legte und lächelte, so siegessicher. Er wußte genau, daß ihm keiner widerstehen konnte.«
Sie erinnerte sich glasklar an alle Einzelheiten. Der Geruch nach Schweiß und Whiskey, die Lichter, die vor ihren Augen tanzten. Jack Mercy, der in den Nachtclub geschlendert kam, als sie gerade mit wenig mehr als ein paar Federn und einem zwanzig Pfund schweren Kopfputz bekleidet auf der Bühne stand.
Er hatte eine dicke Zigarre geraucht und sie nicht aus den Augen gelassen. Aus irgendeinem unerklärlichen Grund war sie sicher gewesen, daß er nach der letzten Vorstellung auf sie warten würde. Und sie war mit ihm gegangen, ohne einen Gedanken an mögliche Folgen zu verschwenden, war mit ihm von Casino zu Casino gezogen, hatte getrunken, gespielt, gelacht und seinen Stetson auf dem Kopf getragen.
Achtundvierzig Stunden später stand sie dann mit ihm in einer der unzähligen kleinen Kapellen, wo die Musik vom Band kam und die mit Plastikblumen geschmückt waren, und er steckte ihr einen goldenen Ring an den Finger.
Daß sie diesen Ring noch nicht einmal zwei Jahre getragen hatte, war für keinen weiter verwunderlich gewesen.
»Es mußte so kommen, wir kannten uns ja kaum. Alles war nur ein kurzer Rausch.« Mit philosophischer Gelassenheit drückte Louella ihre Zigarette auf dem leeren Teller aus. »Ich war für das Leben auf einer Ranch in Montana einfach nicht geschaffen. Vielleicht hätte ich mich daran gewöhnen können, wer weiß. Ich habe ihn geliebt.«
Tess schluckte schnell einen Bissen herunter, bevor er ihr im Halse steckenblieb. »Du hast ihn geliebt?«
»Zumindest eine Weile lang.« Louella zuckte die Achseln.
»Keine Frau konnte Jack auf Dauer lieben, es sei denn, ihr fehlten ein paar Gehirnzellen. Aber eine Zeitlang habe ich ihn wirklich geliebt. Und ich bekam dich und hundert Riesen Abfindung. Wenn Jack Mercy in jener Nacht nicht zur Tür hereingekommen wäre und ein Auge auf mich geworfen hätte, dann hätte ich heute weder meine Tochter noch meinen Club. Also muß ich ihm dankbar sein.«
»Was verdankst du schon einem Mann, der dich und seine eigene Tochter aus seinem Leben gestrichen hat? Der dich mit lumpigen hunderttausend Dollar abspeisen ließ?«
»Mit hundert Riesen kam man vor dreißig Jahren erheblich weiter als heutzutage.« Louella hatte sich zu einer guten Mutter und zu einer guten Geschäftsfrau gemausert, und sie war stolz darauf. »Ich finde, ich bin ganz gut dabei gefahren.«
»Die Mercy Ranch ist zwanzig Millionen wert. Meinst du immer noch, du hättest ein gutes Geschäft gemacht?«
Louella schürzte die Lippen. »Die Ranch gehörte ihm, Herzchen. Ich war dort nur eine Weile zu Gast.«
»Lange genug, um ein Baby und einen Tritt in den Hintern zu bekommen.«
»Ich wollte das Kind.«
»Mom.« Bei Louellas Worten verrauchte Tess’ Ärger, doch die Ungerechtigkeit hinterließ einen Stachel in ihrem Herzen. »Dir stand viel mehr zu. Und mir auch.«
»Vielleicht, vielleicht auch nicht. Aber so haben wir uns damals arrangiert.« Louella zündete sich die nächste Zigarette an und beschloß, ihren Besuch im Schönheitssalon zu verschieben. Es gab wichtigere Dinge auf der Welt, dachte sie. »Die Zeit vergeht. Jack hat insgesamt drei Töchter, und jetzt ist er tot. Verrätst du mir endlich mal, was er dir hinterlassen hat?«
»Ein Problem.« Tess nahm ihrer Mutter die Zigarette aus der Hand und nahm einen
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