Der weite Himmel: Roman (German Edition)
Riesige Fenster boten einen herrlichen Blick über die Ranch und das Land. Jack pflegte zu sagen, daß er alles, was ein Mann sehen mußte, von diesen Fenstern aus überblicken konnte.
Auf dem Boden lagen die Teppiche, die er gesammelt hatte, und Ledersessel in verschiedenen Brauntönen waren im Raum verteilt. An der Wand hingen seine Trophäen – Köpfe von Elchen, Bighornschafen, Bären und Hirschen. In einer Ecke kauerte wie zum Sprung geduckt ein mächtiger
schwarzer Grizzly mit gefletschten Zähnen und zornig funkelnden Glasaugen.
Einige seiner Lieblingswaffen hatte Jack in einer verschlossenen Vitrine aufbewahrt. Dort lagen die Büchse seines Urgroßvaters und dessen Colt Peacemaker, die Browning, mit der Jack den Bären erlegt hatte, die Mossberg 500 und die 44er Magnum, seine bevorzugte Handfeuerwaffe.
Es war der Raum eines Mannes, der nach Leder, Holz und dem Tabakduft der kubanischen Zigarren roch, die er oft geraucht hatte.
Sein Schreibtisch, extra für ihn von Hand angefertigt, war aus glänzendem Mahagoni und mit einer Vielzahl von Schubladen versehen, deren Messinggriffe stets sorgfältig poliert wurden. Nate hatte jetzt dahinter Platz genommen und beschäftigte sich angelegentlich mit einigen Papieren, um den Anwesenden Zeit zu geben, sich zu sammeln.
In Tess’ Augen wirkte er hier so fehl am Platz wie ein Bierkrug auf einer Kirchenfeier. Ein Cowboy im Sonntagsstaat, der Anwalt spielt, dachte sie, leicht die Lippen verziehend. Allerdings mußte sie zugeben, daß er auf seine Art durchaus anziehend war. Ein Countrytyp, ein junger James Stewart, der nur aus Armen und Beinen zu bestehen schien und eine unterschwellige Sexualität ausstrahlte. Aber große, schlaksige Männer, die Stiefel zum Gabardineanzug trugen, waren nicht unbedingt ihr Stil.
Was sie betraf, so wollte sie diese ganze lästige Angelegenheit so schnell wie möglich hinter sich bringen und nach L. A. zurückkehren. Sie schnitt dem fauchenden Grizzly und dem zottigen Kopf einer Bergziege eine Grimasse und musterte dann die Waffensammlung. Welch ein Ort, grübelte sie. Und was für seltsame Leute.
Neben dem Cowboy im Anwaltskostüm saß die knochige Haushälterin mit hennagefärbten Haaren stocksteif da. Ihre Knie hatte sie fest zusammengepreßt und mit einem abscheulichen schwarzen Faltenrock züchtig bedeckt. Es folgte der edle Wilde mit seinem überwältigend attraktiven Gesicht und den unergründlichen Augen. Ihm haftete ein schwacher Geruch nach Pferd an.
Lily, das Nervenbündel, dachte Tess, ihre Musterung fortsetzend. Sie hielt die Hände krampfhaft gefaltet und den Kopf gesenkt, als ob sie so die Blutergüsse in ihrem Gesicht verbergen könnte. Hübsch und zerbrechlich wie ein aus dem Nest gefallenes Vögelchen, das mitten in einer Schar von Geiern gelandet war.
Tess’ Herz wurde weich, und sie wandte ihre Aufmerksamkeit rasch Willa zu.
Die Landpomeranze, stellte sie naserümpfend fest. Mürrisch, vermutlich nicht mit Intelligenz gesegnet und wortkarg. Zumindest sah die Frau in Jeans und Flanellhemd besser aus als in dem sackartigen Kleid, das sie zu der Beerdigung getragen hatte. Sie bot einen interessanten Anblick, wie sie da in dem großen Ledersessel saß, einen stiefelbekleideten Fuß auf das Knie gelegt, das fremdartige exotische Gesicht unbeweglich wie Stein.
Und da sie in den schwarzen Augen nicht eine einzige Träne entdeckt hatte, nahm Tess an, daß Willa für Jack Mercy keine größere Liebe gehegt hatte als sie selbst.
Eine rein geschäftliche Angelegenheit, stellte sie fest und trommelte mit den Fingern ungeduldig auf der Armlehne ihres Sessels herum. Hoffentlich kamen sie bald zur Sache.
Noch während sie dies dachte, hob Nate den Kopf, und ihre Blicke trafen sich. Einen Moment lang beschlich sie das unbehagliche Gefühl, er könne ihre Gedanken lesen. Und daß ihm alles an ihrer Person mißfiel, das war nicht zu übersehen.
Ach, denk doch, was du willst, beschloß Tess und sah ihn trotzig an. Sieh du nur zu, daß ich mein Geld bekomme.
»Wir haben jetzt mehrere Möglichkeiten«, begann Nate. »Entweder wir regeln die Sache ganz formell, das heißt, ich lese euch Jacks Letzten Willen Wort für Wort vor und erkläre euch dann, was die juristischen Floskeln im Klartext bedeuten, oder ich fasse den Inhalt des Testaments einfach kurz zusammen.« Er schaute bei diesen Worten Willa an. Sie bedeutete ihm am meisten. »Die Entscheidung liegt bei dir.«
»Mach’s bitte nicht so kompliziert, Nate.«
»Wie du
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