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Der weite Weg nach Hause

Der weite Weg nach Hause

Titel: Der weite Weg nach Hause Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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mit einem Lappen poliert und manchmal Blumen hineingestellt hatte. Dachte daran, wie sie zu ihm gesagt hatte: »Dieser blaue Krug hat etwas, das ich liebe, Lev.«
    Jasmina kam ins Zimmer zurück und stellte ein Zinntablett auf den Couchtisch. Darauf stand eine Kollektion weißer Schälchen mit Kleinigkeiten. Zwischen die Schälchen hatte Jasmina weiße Rosenblütenblätter auf das blankpolierte Zinn gestreut. Mit ihren molligen Händen wedelte sie zärtlich über die Häppchen, und ihre Armreifen klimperten dabei.
    »Cocktail-Koftas«, sagte sie. »Gewürzte Cashewnüsse, kurzgebratene Garnelen, Gürkchendip, Samosas mit Spinat und Ricotta. Bedient euch bitte. Ich hole den Wodka.«
    Sie ging wieder hinaus, und Christy betrachtete versonnen die weißen Schälchen und die verstreuten Blütenblätter. »Sie hat für dich Wodka besorgt«, flüsterte er. »Ich hab ihr erzählt, dass du gern ein Gläschen trinkst.«
    Jasmina wollte das Abendessen hinten im Innenhof servieren, aber Christy sagte Nein, er würde gern hier essen und dem unruhigen Farbenspiel in der untergehenden Sonne zuschauen. Also saßen sie auf hübschen Kissen am Boden, und Jasmina kam mit immer neuen Gerichten − Essen für zehn Personen.
    Sie selbst trank zwar nur Wasser, servierte aber kaltes indisches Bier in einem hohen Krug, und Lev merkte, wie seine Seele wieder Freude an der süßen Gegenwart gewann. Er hatte nie zuvor selbst zubereitete indische Speisen gegessen. Er mochte die Art, wie das, was er gerade aß, als Duft in die Nase stieg, mochte, wie er es inhalierte , während er gleichzeitig schluckte, und spürte, wie dessen verändernde Kraft ihm ins Blut ging. Nach nur wenigen Bissen hatte er den Eindruck, sein Haar dufte nach Kokosnuss, seine Haut verströme Ingwer und Kreuzkümmel.
    Aus den Augenwinkeln nahm er das Funkeln und Schimmern der gläsernen Objekte wahr. Jasminas Stimme war melodiös, die Vokale sprach sie eigentümlich perfekt aus, als hätte sie ihr Englisch bei einer alten, zurückgezogen lebenden Herzogin gelernt. Und Lev bemerkte, dass Christy, ganz gleich, worüber sie redete, völlig hingerissen war. Während sie ein Zitronenhühnchengericht mit Dal und Blumenkohl aßen, redete sie eine ganze Weile über ihre Arbeit als Hypothekenberaterin in der Wohnungsbaugesellschaft Hertford and Ware, ohne dass Christys verzückter Gesichtsausdruck, sein aufmerksamer Blick sich geändert hätten.
    »Jas macht wirklich wichtige Arbeit«, sagte er »Hilft Leuten auf der Wohlstandsleiter nach oben. Das ist menschenfreundlich, finde ich.«
    Lev sah, wie Jasmina eine Hand ausstreckte und sie sanft auf Christys Handgelenk legte. »Ganz so ist es nicht«, sagte sie. »Als ich anfing, habe ich es auch so gesehen, aber jetzt finde ich Hypotheken in vielerlei Hinsicht schlecht, besonders sehr große.«
    Sie wandte sich an Lev und sagte: »Wir haben Berge vonprivaten Schulden in diesem Land. Einen Mount Everest von Schulden. Und jeden Tag macht die Hertford and Ware ihn größer. Mir gefällt das immer weniger, und ich empfinde zunehmend Sympathie für die Muslime, deren Gesetz es verbietet, Zinsen auf Darlehen zu zahlen, also schlagen sie gar nicht erst den klassischen Hypothekenweg ein. Ich hatte letzten Freitag zum Beispiel ein weißes Paar, das versuchte, sich das 29-fache ihres Einkommens zu leihen. Wo soll das enden?«
    »Es wird nicht enden«, sagte Christy. »Die Menschen sehnen sich immer nach irgendwelchen Dingen, und du hilfst ihnen dabei, sich ihre Sehnsucht zu erfüllen. Das ist alles.«
    »Darlehen für Träume, so nenne ich das«, sagte Jasmina. »Als ich ein Kind war, hat man ein Leben lang für die Verwirklichung eines Traums gearbeitet. Dann wurde er vielleicht am Ende wahr − so wie ich an diese Glassammlung gekommen bin. Aber in Großbritannien will jeder alles sofort und auf der Stelle, das neue Haus, das neue Auto, den neuen Kühlschrank, die neue Küche ...«
    »Und hier komme ich ins Spiel«, sagte Christy stolz und goss sich noch Bier ein. »Ich könnte ein ganzes Jahr lang nur in dieser Straße arbeiten, stimmt doch, Jas?«
    Jasmina streichelte Christys Stirn, wie sie vielleicht die eines fiebernden Kinds gestreichelt hätte. »Ja«, sagte sie, »aber nicht, wenn du wieder anfängst, zu viel Bier zu trinken ...«
    »Aber du hast doch selbst das Scheißbier besorgt, Jas. Ich bin nur ein höflicher Gast und trinke, was du anbietest.«
    »Und ich habe es gar nicht gern, wenn du fluchst, Christy. Das weißt du

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