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Der weite Weg nach Hause

Der weite Weg nach Hause

Titel: Der weite Weg nach Hause Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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schicken könnte, dann wäre der Tschewi innerhalb einer Woche wieder fahrtüchtig.
    Zweihundert Pfund .
    Dabei war er schon eine Woche mit Christys Miete im Rückstand und zwei Wochen mit Inas Geld. Er lief die Swains Lane hinunter. Er erklärte Lora, das Geld könne er nach dem nächsten Zahltag schicken, fragte sich aber, noch während er das sagte, wovon er leben sollte, wenn es weg war.
    Jetzt war er auf der Höhe der Wohnwagen. Sah aus den Augenwinkeln zwei Kinder − eines schwarz und eines weiß −, die hinter einem der Wagen aus der Dunkelheit auftauchten, dachte: Es ist ziemlich spät für sie hier draußen, dachte: Sie können kaum älter als zwölf sein, und sah sie dann die Straße auf der Friedhofseite entlangrennen.
    »... er weigert sich, aus dem Fenster zu gucken«, sagte Lora gerade.»Er sagt, er würde sich wünschen, dass jemand den Tschewi klaut, damit er ihn nicht länger da stehen sehen muss ...«
    Plötzlich musste Lev daran denken, wie der Tschewi damals über die Sandpisten zum Esselsee gerumpelt war, wie Rudi ihm erklärt hatte, er werde die Fische mit seinen starken Scheinwerfern irritieren, und wie die irritierten Fische dann so seltsam elektrisch blau geworden waren − giftig blau?
    »Hör zu, Lora«, sagte Lev. »Sorg dafür, dass Rudi ins Krankenhaus kommt. Vielleicht ist er ja krank und nicht nur depressiv. Muskelkrämpfe könnten etwas Ernstes sein. Sie könnten von damals, von unserer Fahrt zu dem See kommen.«
    Lev hörte Lora seufzen. »Er will keinen sehen. Ich wünschte, du wärst hier. Du könntest ihm helfen. Das weiß ich. Alles was mir sonst einfällt, ist, das Auto reparieren zu lassen.«
    »Bring ihn dazu, dass er zum Arzt geht.«
    »Hast du Rudi jemals im Leben zu irgendetwas bringen können?«
    »Okay. Okay. Aber erinnere ihn einfach an die blauen Fische.«
    »Weißt du, was ich dauernd denke, Lev? Ich denke dauernd, wenn wir bloß ein Kind hätten. Dann müsste Rudi doch weitermachen,oder? Einfach um des Kindes willen, so wie du wegen Maya weitermachen musstest.«
    Lev erinnerte Lora daran, wie lange seine eigenen Depressionen gedauert hatten, und unterbrach sich, als er sah, wie die zwei Kinder die Straße zurückgerannt kamen, direkt auf ihn zu, sehr schnell. Er blickte in ihre Gesichter, die in der diffusen Beleuchtung noch weißer und noch schwärzer wirkten. Er redete weiter mit Lora, merkte aber, wie seine Stimme schwankte. Ihm fiel auf, dass der weiße Junge eine runde Brille trug und kleiner war als der schwarze Junge, der längere Beine hatte und schneller rennen konnte. Und als der schwarze Junge langsamer wurde, damit der andere ihn einholte, und sie jetzt nebeneinander herliefen, begriff er, in einem unendlich kurzen wirbelnden Augenblick, dass die Jungen auf ihn zustürmten, dass er ihr Ziel war, er und sein Handy ...
    Er hatte gerade noch Zeit, sich innerlich zu wappnen, da spürte er schon einen stechenden Schlag gegen seine linke Gesichtshälfte und einen Hieb auf die rechte Schulter. Er stolperte, versuchte sich auf den schwarzen Jungen zu stürzen, der ihn geschlagen hatte, merkte dann, dass er immer noch sein Handy umklammerte, als die Jungen an ihm vorbei die Straße hoch davonrasten.
    Er drehte sich um, sah sie zum Friedhofstor rennen, hielt das Handy wieder ans Ohr, hörte Lora sagen: »Was ist passiert, Lev? Was ist los?«
    »Kinder«, sagte er. »Kinder ...« Hörte, wie mühsam er atmete, genau wie sein Vater. »Die wollten mir mein Handy klauen. Du lieber Gott!«
    »Alles okay mit dir, Lev?«
    »Ja ...«
    Er begann, schneller zu gehen, wünschte, er wäre schon näher an der Belisha Road. In seinem Rücken hörte er Lachen, drehte sich um, sah, wie die Jungen Mülltüten vom Haufen neben dem Tor grabschten, sah, wie sie die stinkenden Tüten in die Luft schleuderten. Wusste, dass es noch nicht vorbei war.
    Er sagte Lora, er müsse jetzt aufhören, erklärte, sie solle Rudi sagen, das Geld werde bald unterwegs sein, sie solle schon mal die Reifen bestellen und die Teile für das Kühlsystem ...
    Peng! Eine Mülltüte traf ihn ins Kreuz. Nahm ihm fast den Atem. Er wollte rennen, wusste aber, dass Zwölfjährige schneller waren. Lieber ruhig bleiben, mit festen Schritten weitergehen, das Handy tief in die Tasche stecken. Denn vielleicht war es ja nur ein Spiel, eins, dass sie gern mitten in der Nacht mit Fremden in dieser dunklen Straße spielten? Vielleicht würden sie sich für sein einfaches, billiges Handy gar nicht interessieren, stahlen

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