Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der weite Weg nach Hause

Der weite Weg nach Hause

Titel: Der weite Weg nach Hause Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
Vom Netzwerk:
roch, lag ein einzelnes Blatt Papier mit Zahlen. Diesmal bot GK Lev frische Limonade an.
    »Ich habe die Zahlen abgetippt«, sagte GK, »dann hast du alles klar vor Augen. Schau es dir an.«
    Lev nahm das Papier mit zitternden Händen. Er begann zu lesen:
    Sechsflammige Profi-Herde (2) mit doppelten Backröhren: mind.
    £ 2200 pro St. neu oder aus Restaurant gebraucht £ 400 (?) pro St.
    Salamander (2): £ 500 pro St.
    Dunstabzugshaube: mind. £ 1000
    Profi-Gasgrill: £ 650
    Geschirrspülmaschine und Spülbecken: £ 900
    Lagerung und Arbeitsflächen: mind. £ 3000
    Messer und Messerblock: £ 300
    Pfannen, Hobelmesser, Siebe, Schüsseln, Regale usw., usw.: £ 300
    Tische und Stühle für 40 Plätze: gebraucht? Preis unbekannt
    Besteck und Gläser: £ 500?
    Tischtücher ...
    Lev war am Ende der Liste angelangt und wagte nicht aufzuschauen. Er starrte wieder auf den Anfang, sah im Geiste einen der wunderschönen Edelherde mit seinen sechs gehorsamen blauen Flammen vor sich und hätte am liebsten, am allerliebsten, jetzt davor gestanden. Doch als er das Ganze noch einmal las, hörte er bei Lagerung und Arbeitsflächen auf. Ein zweites Mal ertrug er sie einfach nicht, diese schockierende Aufsummierung von Kosten.
    Lev spürte GKs freundlichen Blick. »Das ist nur das matériel «, sagte GK. »Ich habe keine Ahnung, wie viel dich die Herrichtung des Ladens kosten wird. Kennst du Tischler und Elektriker mit reellen Preisen? Arbeiten solche Leute immer noch für Marlboro-Währung oder eine Ladung Strumpfhosen? Oder zahlt man pro Stunde?«
    »Pro Stunde«, sagte Lev. »Aber ziemlich niedrig.«
    »Okay. Also, wie viel das wird, kann ich noch nicht abschätzen. Hängt von dem Laden ab, den du findest, und davon, was da schon drin ist.«
    Lev schwieg und starrte auf die letzte Zahl unten: £ 14 000.
    Nun durchschaute er seine große Idee als das, was sie war: eine wilde Spekulation, ohne jede Substanz. Schon als Junge warer der ewige Träumer gewesen. »Konzentrier dich, konzentrier dich!«, hatten seine Mutter und sein Vater ihn häufig ermahnt, wenn er auf dem Schulweg oder dem Weg zum Fluss stolperte. »Hör auf, Löcher in die Luft zu starren.« Und jetzt hatte er wieder geträumt, wieder auf Schemen gegafft, das war alles. Nur dass diesmal seine Zukunft und die der Menschen, die er am meisten auf der Welt liebte, von dem Traum abhingen. Ihm wurde schlecht vor Angst.
    »Trink die Limonade«, sagte GK.
    Lev trank, mochte den süßen Geschmack und dachte: Wenn man ein richtiger Koch wäre, könnte man Geschmack und Konsistenz der Speisen, die den Menschen − wenn auch nur für einen Moment − Trost spenden, vorausahnen und servieren. Er erkannte, dass das Leben − und die Erinnerung an das Leben, die stets gleichzeitig mitlief − letztendlich aus solch flüchtigen Momenten bestand.
    »Vergiss nicht«, hörte er GK sagen, »dass ich keine Ahnung habe, wie teuer das Zeug in Baryn ist. Bei dieser Zahl handelt es sich um die Mindestsumme, die du hier brauchst, um eine funktionierende Küche auszustatten, unter der Voraussetzung, dass du ein paar Dinge gebraucht kaufen kannst. In deinem Land wird es sicherlich weniger sein. Wenn du, in Anbetracht der Unterschiede, auf, sagen wir, zehn Mille runtergehst, könntest du richtig liegen.«
    Zehntausend Pfund.
    Das ganze Unternehmen war reine Fantasie. Selbst nach seinem nächsten Gehaltsscheck. Es würden ihm weniger als vierzig Pfund bleiben, nachdem er etwas an Ina und die 200 Pfund an Lora für den Tschewi geschickt hätte. Und Christy schuldete er 180 ...
    Am liebsten hätte er sich selbst ausgelacht. Zehntausend Pfund! Er sah einen törichten Menschen vor sich, der einst geglaubt hatte, er könne das menschliche Glück mit ein paar Weihnachtssternen herbeizaubern, eine jämmerliche Gestalt,die sich mit etwas erbetteltem Holz nach Hause quälte und, durch einen Heuballen vom Rad geworfen, wie ein Gekreuzigter im Graben gelegen hatte. Er war 43, und sein Projekt − seine große Idee − war eine Farce. Binnen einem Jahr würde sein Zuhause unter Wasser liegen. Es würde kein Restaurant namens Marina geben.
    Und was würde aus Ina werden? Auf dem Rückweg vom GK Ashe schob diese Sorge sich vor alle anderen und quälte Lev von Neuem. Denn ihm dämmerte endlich, dass seine Mutter nicht verpflanzt werden konnte. Auror war ihr Leben. Wenn Auror ertränkt würde, dann sänke sie zusammen mit dem Ort an den Grund des Stausees.
    »Mama«, hatte er sie am Telefon angefleht, »die

Weitere Kostenlose Bücher