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Der weite Weg nach Hause

Der weite Weg nach Hause

Titel: Der weite Weg nach Hause Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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deshalb an? Um mich zu bitten, Pjotr zu bitten, Ihnen 10 000 Pfund zu leihen?«
    »Ich dachte nur ... was Ihnen und mir so viel vorkommt, erschiene ihm vielleicht nicht so ... bedeutend.«
    »Lev«, sagte Lydia mit einem langen Seufzer, »ich muss zugeben, dass Sie mich enttäuschen. Und mehr noch. Im Ernst, eigentlich finde ich es nur grauenhaft. Es ist abscheulich! Dass Sie, nach allem, was ich für Sie getan haben, die Frechheit besitzen, um so eine absurde Summe zu bitten.«
    Sie hatte recht. Es war absurd. Die ganze Sache war absurd.
    »Ich dachte nur«, stammelte Lev, »dass es etwas sein könnte, das Maestro Greszler vielleicht gern unterstützen würde. Wenn er dann nach Baryn käme ...«
    »Er kommt nie nach Baryn. Es ist ganz entschieden kein Ort, den er liebt.«
    »Nein. Aber wenn er doch einmal käme ... und ...«
    »Lev, es tut mir leid, aber ich muss jetzt Schluss machen.«
    »Bitte nicht, Lydia. Seien Sie nicht wütend.«
    » Nein? Begreifen Sie denn nicht, wie schäbig Sie sich eben benommen haben? Es tut mir leid, wirklich, aber ich lege jetztauf. Und ich werde Ihre Bitte gewiss nicht Pjotr vortragen. Ich möchte nicht, dass er Sie verachtet. Leben Sie wohl, Lev.«
    Die Verbindung war unterbrochen. Unten im Garten bellte der Hund an diesem heißen Morgen. Lev stand sehr still da und starrte in den blassen Himmel. Er dachte, dass Jasmina recht hatte. Träume machten einen leichtsinnig, schickten einen auf Pfade, die man normalerweise nie einschlagen würde.
    Aber was gab es denn, jenseits von diesem Traum, woran er sich aufrichten konnte?
    Das berichtete er Christy. »Ich weiß nicht, wie ich mir sonst die Zukunft denken soll.«
    »Ich sehe das Dilemma«, sagte Christy.
    Sie waren dabei, die Wohnung für Jasmina zu putzen, die demnächst zum ersten Mal über Nacht kommen würde. Sie waren gerade bei der Küche: zwei »Schwestern«, die alles wienerten, bevor Lev sich an die Zubereitung des Essens machen würde. Aber Christy wurde ständig von Gegenständen abgelenkt, die er beim Öffnen der Schränke fand und von deren Existenz er gar nichts wusste.
    »Sieh dir das mal an«, sagte er und zog ein angelaufenes Fondue-Set aus Kupfer mit sechs Fleischspießen hervor. »Nie benutzt. Wahrscheinlich ein Hochzeitsgeschenk. Das war unser Verhängnis.« Später fand er einen silbernen Toastständer, ebenfalls schwarz angelaufen von den Jahren. »Erbstück«, sagte er und knallte ihn auf eine Arbeitsfläche. »Geschenk von einer hochnäsigen Tante aus Limerick. Gleich ab damit ins Pfandhaus.«
    Christy sah diesen Toastständer sehr lange an und sagte dann, er werde sich von allem materiellen Besitz befreien, der zu seiner Vergangenheit gehöre. Und zwar »bis aufs letzte Fitzelchen«, um das Gefühl eines wirklichen Neuanfangs zu haben.
    Sie arbeiteten so lange, bis es für Lev Zeit wurde, sich zu Panno aufzumachen.
    Bevor er ging, ließ er den Blick durch die Küche wandern, stand eine Weile da und bewunderte die glänzenden Flächen, atmete den Geruch des Reinigungsmittels ein. Dann zog er los. Inzwischen nahm er einen anderen Weg, über die Junction Road bis Archway und dann links nach Highgate, und mied auf diese Weise die Swains Lane und den Friedhof. Es war warm. Um seine Zukunftsangst für eine Weile zu vergessen, wanderte er jetzt manchmal mit den Gedanken zurück zu den Tagen des Spargelschneidens, zu den Veilchen, die im wilden Gras wuchsen, und zum hemmungslosen Lachen von Jimmy und Sonny Ming.
    Ha-ha. Tischbirrjard gewinnt, Rev!
    Ha-ha-ha-ha!
    Er beschloss, für Jasmina Kleftiko zu kochen. Er kaufte die Lammhachsen billig beim griechischen Metzger an der Ecke Belisha Road, briet sie kurz an, machte eine scharfe Tomaten-Rosmarin-Soße und ließ sie − genau wie Panno es ihm gezeigt hatte − darin vier Stunden bei schwacher Hitze im Backofen schmoren, bis sie zart wie Kalbfleisch waren. Zu den Hachsen würde er Safranreis und einen griechischen Salat mit Oliven und Fetakäse reichen. Als Nachtisch würde er eine üppige Schokoladentorte backen, da Christy erzählt hatte, Jasmina liebe Süßes.
    Während er an diesem beschaulichen Sonntagnachmittag Teig ausrollte und geschmolzene Schokolade mit Sahne verrührte, spürte er, wie eine gewisse innere Ruhe wieder Besitz von ihm ergriff. Er war überzeugt, dass die Torte − ein Rezept von Waldo − gelingen würde. Aber er wusste darüber hinaus, dass die Zukunft, für die er sich entschieden hatte, richtig war, richtig für ihn. Wusste, dass Kochen etwas

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