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Der weite Weg nach Hause

Der weite Weg nach Hause

Titel: Der weite Weg nach Hause Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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Tiger. Sie sagt vielleicht: Er ist wütend.«
    Sulima starrte Lev an. Sie blinzelte nervös, und mit ihrenweichen Händen begann sie, in ihrem Haar zu nesteln. Lev konnte hören, wie draußen der Verkehr langsam vorbeirollte.
    »Für Maya«, sagte er, »ich muss Arbeit finden.«
    Sulima räusperte sich und sagte: »Das Avenues existiert nicht mehr. Leider, sonst hätte ich Sie dorthin schicken können. Jetzt ist es ein Fitnesscenter. Alle treten in die Pedale, um ihr Herz zu retten. Aber Sie sollten es in der Earls Court Road versuchen. Da gibt es Schnellimbisse jeder Art. Die brauchen immer jemanden.«
    »Ja?«, sagte Lev.
    »Ich denke, da sollten Sie es zuerst versuchen.«
    »Court Road?«
    »Earls Court Road. Hier durch die Eingangstür. Erst nach links, dann nach rechts, dann wieder links. Das mit Ihrer Frau tut mir sehr leid.«
    Da war er nun also, schleppte die Tasche durch die schmutzige, flirrende Straße. Was er sich als Allererstes gern kaufen würde, war eine Sonnenbrille.
    Beim Gehen fielen ihm die Worte des Yarbler Englischlehrers ein: »Wenn Sie nach Arbeit fragen, versuchen Sie, höflich zu sein. Unser Volk ist ein stolzes Volk. Wir sind keine Kriecher, aber auch nicht grob. Sagen Sie zum Beispiel auf Englisch: ›Entschuldigen Sie die Störung, aber hätten Sie vielleicht irgendetwas für mich? Ich bin legal.‹«
    Hätten Sie vielleicht irgendetwas für mich? Das war schwer zu behalten, erst recht auszusprechen. Und Lev fand es jedes Mal hart, überhaupt etwas zu sagen, wenn er sich in ein Geschäft wagte oder vor einer Imbisstheke stand. In einem Zeitungsladen, einem schwach beleuchteten, altmodischen Geschäft, überfiel ihn eine derart heftige Traurigkeit, dass er kaum Luft bekam. Deshalb sagte er nichts und fragte nur nach russischen Zigaretten, und das dicke Mädchen hinter der Ladentheke pulte an ihrer Nase und starrte ihn an wie einen Verrückten.
    »Russische?«
    »Ja. Russische oder türkische.«
    »Nee. Keine Chance. Jedenfalls nicht hier in der Gegend.«
    In einer Pizzabäckerei, in der es kühl war, da sich zwischen hellen Punktstrahlern langsam Deckenventilatoren drehten, wartete Lev bei der Tür, bis ein Kellner sich näherte. »Raucher oder Nichtraucher?«
    Raucher oder Nichtraucher.
    »Hätten Sie vielleicht irgendetwas für mich?«, sagte Lev und brachte den schwierigen Satz diesmal korrekt heraus. »Ich bin legal.«
    »Wie bitte?«, sagte der Kellner.
    »Nein. Entschuldigung. Ich suche Arbeit. Entschuldigung, Sie zu stören.«
    »Ach so«, sagte der junge Mann. »Gut. Warten Sie.«
    Lev sah den Kellner weggehen und hinter einer Tür mit der Aufschrift Personal verschwinden. Das Lokal war fast leer, und andere Kellner standen in ihren weißen Hemden mit roten Fliegen müßig herum und starrten Lev an. Der Lärm der Deckenventilatoren erinnerte Lev an die alte Eisbahn in Baryn, wo er mit Marina Schlittschuh gefahren war, indem sie sich an Stuhllehnen festhielten, und wo die frostige Luft nach Desinfektionsmittel gerochen hatte.
    Als der junge Kellner wiederkam, sagte er: »Tut mir leid. Ähm ... der Chef ist kurz mal weg.«
    »Kurzmal?« , sagte Lev.
    »Ja. Weg. Aber im Moment gibt es nichts. Keine Arbeit. Tut mir leid.«
    »Okay«, sagte Lev.
    Die Tasche wurde ihm allmählich lästig. Nicht nur ihr Gewicht, sondern einfach ihr Anblick, weil sie alles enthielt, was er von seinem früheren Leben mitgebracht hatte. Er stellte sich vor, ihr Inhalt wäre auf irgendeine Weise für alle sichtbar und man würde sich über seine klägliche Habe lustig machen. Undnoch etwas bereitete ihm Sorge. Jedes Mal wenn er sie absetzte, klirrten die Wodkaflaschen, und das war peinlich, als wäre er ein ungeschickter Schwarzhändler, der die Welt hören ließ, was er zu verkaufen hatte. Er wünschte, er hätte Sulima gefragt, ob er die Tasche im Champions B & B lassen dürfe. Jetzt hatte er sie am Hals, als wäre sie ein Teil seines Körpers.
    Er kam zu einem Container, der am Straßenrand abgestellt war, und bemerkte, dass zwischen Holzbrettern, fleckigen Matratzen und Bergen von Schutt auch rostige Metallteile lagen. Lev blieb stehen, setzte die Tasche ab, starrte auf den Metallschrott und stellte sich vor, was solch ein Fund wohl für Ina bedeutet hätte und wie sie das Metall so fein gehämmert und geklopft hätte, bis es sich schneiden und zu kleinen fingernagelartigen Ohrclips formen ließ. »Rost ist wunderschön«, hatte Ina häufig gesagt. »Rost arbeitet für mich. Rost macht mit der Zeit alles

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