Der weite Weg nach Hause
knusprige, ölgetränkte Brot zermalmten.
»Netter Abend«, hörte er Ashe sagen. »Diät, aber gut. Alles prima, gut geklappt. Keine Scheiße gebaut. Deine Salsa zur Meeresbrasse: Killer, Pierre.«
»Danke, Chef.«
»Keks-Eis mit Zimtbirnen ist der Hit, Waldo.«
»Gut. Freut mich, Chef.«
»Und so sollte es jeden Abend sein. Auch wenn wir rappelvoll sind. Es sollte genauso schnurren. Na dann, prost allerseits. Wo ist Schwester?«
Sie sahen in die Richtung, wo Lev an seinen Becken stand. »Los, komm, Schwester!«, rief Ashe. »Komm und hol dir deine Crostini, ehe Miss Sophie Gierschlund sie alle aufisst!«
Lev trocknete sich die Hände an einem sauberen Handtuch. Er band das Kopftuch ab und trocknete sich das Gesicht damit.Als er Platz genommen hatte, wurde ihm ein Bier in die Hand gedrückt. »Prost!«, sagte Ashe noch einmal.
Lev aß und trank. Obwohl sein Rücken wie üblich schmerzte, begriff er in diesem Augenblick, dass er Glück hatte. Wenn er diesen Arbeitsplatz behalten konnte, gäbe es Belohnungen wie diese. Er würde Ina in seinem nächsten Brief erzählen, dass er für ein gutes Unternehmen arbeite. Er würde das herrliche Essen, das er hier bekam, mit dem groben, stärkereichen Zeug vergleichen, das Stefan und er gewöhnlich im Baryner Holzhof gegessen hatten.
Er sah zu Sophie hinüber, die ihr lockiges Haar seit Kurzem rostrot gefärbt trug. Sie hatte ihre weiße Küchenkleidung ausgezogen, und Lev stellte fest, dass ihre Arme rundlich und noch braun von der sommerlichen Hitzewelle waren und dass sie unterhalb der Schulter eine Tätowierung in Form einer Eidechse hatte. Er überlegte, ob er sie fragen sollte, wieso sie ihn hatte anrufen wollen. Er versuchte sich auszumalen, wie er ihr von dem peinlichen Klingeln in der Festival Hall erzählte, aber er ahnte, dass er nicht die richtigen Worte finden würde. Und vielleicht war ihr Anruf ohnehin ein Irrtum. Vielleicht hatte sie Marios oder Jebs Handynummer haben wollen, und Damian hatte ihr aus Versehen Levs gegeben.
»Englische Mädels«, war Christys Kommentar gewesen. »Es gibt da dieses Problem mit ihnen: Sie sind rassistisch. Selber sehen sie sich nicht so; sie würden toben, wenn man ihnen das vorwürfe, aber sie sind es − oder jedenfalls eine Menge von ihnen. Und du und ich, wir sind beide Ausländer. Alles, was Angela einfiel, als es zwischen uns nicht mehr so lief, war: ›Ich hätte keinen verdammten Ausländer heiraten sollen.‹ So hat sie mich genannt. Ich spreche dieselbe Sprache. Ich lebe seit 15 Jahren in London, aber bitte, ich bin immer noch ein ›Ausländer‹ für sie. So sind die englischen Mädels, das sag ich dir. Oder besser, ich warne dich. Fang nichts mit einem englischen Mädel an.«
»Ich fange mit niemand an«, hatte Lev gesagt.
»Na, dann ist es ja okay. Aber wenn doch, dann such dir nicht Miss Britannia aus.«
Lev wandte den Blick von Sophie. Er fühlte GK Ashes Hand auf der Schulter. »Du machst deine Sache gut, Schwester«, sagte er. »Keine Mäuse. Keine Kakerlaken. Nicht mal ein Silberfischchen. Noch nicht. Aber halt das Niveau. Fang nicht an zu schlampen. Kapiert?«
Ashe ging um halb eins nach Hause, und nach und nach brachen alle auf, und Lev war allein und wischte den Boden. Aber es machte ihm nichts aus. Sein Kopf fühlte sich leicht an vom Bier. Er wischte im Takt mit einem alten Volkslied, das er sich im Geiste vorsang. Überraschenderweise schien Optimismus bei ihm eingekehrt zu sein.
Dann hörte er, wie die Außentür aufging, und da stand Sophie in einem zotteligen Schaffellmantel und einem gelben Fußballschal.
»Bin zurückgekommen, um dir zu helfen«, sagte sie. »Ich fand es plötzlich gar nicht gut, dass wir dich alle alleingelassen haben.«
Lev richtete sich auf und betrachtete sie. Er dachte: Mir gefällt ihre Kleidung.
Sie begann, sich aus dem Fußballschal zu wickeln. »Was kann ich machen?«, fragte sie. »Die Mülleimer rausbringen?«
Lev lächelte sie an. Unter ihrem schäbigen Mantel trug sie einen roten Pullover in ungefähr der Farbe ihrer Haare und einen beigefarbenen Lederrock.
»Es ist okay«, sagte er. »Das ist meine Arbeit.«
»Ich weiß, dass das deine Arbeit ist«, sagte Sophie, »aber ich packe den Müll in Säcke und bringe ihn für dich raus, okay?«
»Du musst nicht ...«
»Ich weiß. Hör auf damit. Ich möchte es gern. Dann kannst du nach Hause gehen.«
Lev sah, wie sie die schwarzen Säcke herauszog, sie zubandund vor der Tür aufreihte. Während sie noch
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