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Der weite Weg nach Hause

Der weite Weg nach Hause

Titel: Der weite Weg nach Hause Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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er musste daran denken, wie sehr er solche duftenden persönlichen Utensilien geliebt hatte, als Marina noch lebte, diese bescheidenen Eitelkeiten ihres weiblichen Alltags: den Geruch von Lippenstift und Grundierungscreme, den einen kostbaren, über die Jahre gestreckten Flakon mit Parfüm,den dicken Stift, mit dem sie die elegante Linie ihrer Augenbrauen nachzog ...
    Er war versucht, jetzt über Marina zu sprechen, Sophie wissen zu lassen, dass er auch früher schon geliebt worden war − als könne diese Tatsache ihn für sie schöner, sichtbarer und stärker machen. Aber sie war ins Haareschneiden vertieft. Sie probierte alles Mögliche aus. Sie sagte ständig, er solle stillhalten. Sie war zärtlich zu ihm, doch er spürte, dass ein Teil von ihr ihn schon verlassen hatte. In der Wohnung war es still und stumm geworden.
    In dieser Stille wurde Marina zu Levs Gefährtin. Viel Zeit schien vergangen, seit sie zuletzt bei ihm gewesen war, doch jetzt war sie da ...
    Mitten im Winter fuhr Lev mit ihr im Bus von Auror nach Baryn, und unterwegs kündete ihr Baby sein Kommen an. Die kleine Maya. Sie stieß und strampelte mit Fäusten und Füßen, um die Flüssigkeit loszuwerden, in der sie geschwommen war, und plötzlich war der Boden des Busses völlig nass, und als der Fahrer es bemerkte, begann er zu fluchen und auf der vereisten Straße hin und her zu schleudern.
    Nach einigem Schlingern kam der Bus zum Stehen. Eine Mitreisende deckte Marina mit ihrem wollenen Tuch zu. Andere Frauen versammelten sich um sie. Die Männer hielten Abstand und machten entsetzte Gesichter. Lev bat den Fahrer, direkt zum Baryner Krankenhaus zu fahren. Also raste der Fahrer los, ignorierte die fahrplanmäßigen Haltestellen und ließ vergeblich winkende Menschen im Schneeregen stehen. Marinas Wehen kamen jetzt alle drei oder vier Minuten. Lev kniete neben ihr und hielt ihre Hand. Bei jedem neuen Schmerzschub schrie sie aber nicht laut auf, sondern klammerte sich nur noch stärker an ihn, und ihre Nägel gruben sich in seine Handfläche.
    Die Straße kam ihm lang und grau und unversöhnlich vor. Eine der Frauen, eine Babuschka mit faltigem, leidendem Gesicht, flüsterte Lev zu: »Kamerad, vielleicht musst du ein Heldsein und dein eigenes Kind zur Welt bringen. Hast du Wodka zum Sterilisieren?«
    Wodka zum Sterilisieren .
    Diese Worte wurden später zwischen Rudi und Lev zur stehenden Redewendung. Wenn die kleinen Misslichkeiten des Lebens sie deprimierten, sagte Rudi: »Scheiße, Lev. Wir brauchen Wodka zum Sterilisieren.«
    Bei dem Gedanken daran musste Lev lächeln, und Sophie sagte: »Worüber lächelst du?«
    »Nichts«, sagte Lev. »Dachte nur an Rudi.«
    Sie schnippelte und kämmte weiter. Lev schaute auf die grauen Haarbüschel auf dem Boden neben seinem Stuhl. Er wanderte zurück zu dem Bus und der schattenlosen Landschaft, die vorm Fenster vorbeiglitt, und der Babuschka, die ihm die Ärmel hochkrempelte und Wodka über Hände und Unterarme schüttete. Und er erinnerte sich, dass er bei dem Gedanken, er werde sein Kind auf der Straße nach Baryn zur Welt bringen, anstatt in Angst und Schrecken zu verfallen, ganz aufgeregt wurde. Irgendwann hoffte er sogar, der Bus werde das Krankenhaus nicht rechtzeitig erreichen. Er entwarf sich innerlich als Held, wappnete sich für das, was womöglich der schönste Moment seines Lebens sein würde ...
    »Okay?« sagte Sophie. »Das wär’s, glaube ich. Jetzt siehst du nicht mehr so siebzigermäßig aus, mein Lieber.«
    Lev musterte seinen um das lange Haar beraubten Kopf, und er fand, dass er sich noch nie so gesehen hatte wie jetzt. Er tastete mit der Hand in seinen Nacken, der überraschend glatt und kühl war. Er zog sich das Handtuch von den Schultern und hielt es linkisch in einem Bündel im Schoß.
    »Okay?«, wiederholte Sophie.
    »Ja«, sagte er. »Es ist gut. Vielen Dank.«
    Sophie nahm ihm das Handtuch weg. »Es ist ein bisschen kurz geraten, aber in einer Woche sieht es blendend aus.«
    Sie küsste ihn leicht auf den Mund. Er stand auf, bürstetesich die Haare von den Knien und ging ins Schlafzimmer, wo er seine Sachen zu packen begann. Er blickte aus dem Fenster auf die Rossvale Road, und auch sie schien, wie die Landschaft auf der Fahrt nach Baryn, ohne Schatten zu sein. Er beobachtete eine junge Frau, die ein Baby im Kinderwagen schob. Ein kleiner Hund folgte ihr auf den Fersen. Lev seufzte, während er sein kariertes Hemd faltete.
    Er hatte dann, trotz all der dramatischen

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