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Der Weltensammler: Roman (German Edition)

Der Weltensammler: Roman (German Edition)

Titel: Der Weltensammler: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilija Trojanow
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mein Zimmer.
    Als es still war in der Karawanserei, schlich Sheikh Abdullah mit dem Dolch im Gürtel in das Zimmer von Ali Agha. Keiner würde etwas merken; zudem, er konnte jederzeit wieder gehen. Nur auf ein Glas, wegen der Geschichten, die der Albaner zum besten geben würde. Es war an der Zeit, daß er sich mal wieder unverhohlen amüsierte. Bei seiner Ankunft waren die Vorbereitungen für das Gelage abgeschlossen: Mitten im Zimmer standen vier Wachskerzen vor einem einsamen Bett. Daneben eine Suppe, eine Terrine mit kaltem Rauchfleisch, einige Salate und eine Schüssel mit Joghurt. Die Gerichte waren um zwei Flaschen herum aufgereiht, die eine dünn und lang, die andere flach und klein wie ein Flakon. Beide Flaschen waren zur Kühlung in nasse Fetzen gewickelt. Sei gegrüßt, Bruder. Du staunst über die Tafel? Hast du gedacht, ein Albaner weiß nicht, wie man trinkt? Nimm Platz, neben mir. Er zog seinen Dolch heraus und warf ihn in die Ecke, und der Sheikh tat es ihm nach, bevor er sich hinsetzte. Ali Agha nahm einen kleinen Becher in die Hand, inspizierte ihn peinlichst genau, wischte die Innenseite mit seinem Zeigefinger ab, füllte ihn bis an den Rand mit Schnaps aus der langen dünnen Flasche und bot ihn seinem Gast mit einer angedeuteten Verbeugung an. Sheikh Abdullah lobpreiste den Geber, während er den Becher entgegennahm. Dann leerte er ihn in einem Zug. Er setzte den Becher auf dem Boden ab, umgedreht, um zu demonstrieren, daß es mit rechten Dingen zuging. Die Zeremonie setzte sich Becher um Becher fort. Wasserschlucke linderten das Brennen im Rachen, löffelweise nahmen sie die Speisen ein. Der albanische Offizier hatte das Gelage alleine begonnen, er war vor einiger Zeit ausgelaufen und segelte mittlerweile auf hoher See, doch er schluckte einen Becher nach dem anderen, ohne die Selbstkontrolle zu verlieren oder seine Lust auf Epopöen. Bei uns in den Bergen, wenn zwei Männer Streit haben, ziehen beide ihre Waffe, setzen die Pistole dem anderen an die Brust. Ali Agha machte eine dramatische Pause. So streiten sie weiter, bis sie sich einig sind, wenn einer denAbzug drückt, wird er erschossen von dritten und vierten. Worauf der Bashibazuk das Gesicht seines Trinkkumpanen inspizierte, um unangemessene Spuren von Entsetzen oder Verachtung zu entdecken. Angesichts des belustigten Ausdrucks, den Sheikh Abdullah aufsetzte, griff er befriedigt nach dem Flakon, füllte seine Handflächen mit Parfüm und schlug sich den Duft auf die Wangen. Sheikh Abdullah folgte seinem Vorbild. Warte, keine weitere Geschichte! Er war der Roheiten überdrüssig, ihm war nach Verzauberung, ihm war danach, den Diktaten des Scharfrichters und dem kraftvollen Wohlgeruch zu entkommen mit einem Vers, einem passenden Vers, den er deklamierte, die ersten Worte wie Kanonenschüsse, damit der Albaner von allem anderen abließ:
    Nacht ist angebrochen, Freund.
    Schüre unser Feuer mit Wein.
    Damit wir, beim Schlaf der Welt,
    Im Dunkeln die Sonne küssen.
    Die letzten zwei Zeilen sprach er wie eine Liebeserklärung. Was für ein Gedicht! Ali Aghas Gesicht leuchtete auf. Solche Gedichte gibt es! Er küßte den Sheikh auf die Wangen, einige Male, bis dieser das Gesicht des Albaners in seine Hände nahm und freundlich von sich schob. Sie leerten einen weiteren Becher und lehnten sich zurück; mit dem Mundstück in der Hand, bliesen sie genüßlich dicke Schwaden durch die Luft. Ali Agha begutachtete das Geleistete, er erklärte sich mehr als zufrieden mit dem Verlauf ihrer anständigen Sünde. Aber die Zufriedenheit sackte bald in sich zusammen, der Bashibazuk wurde unruhig, er benötigte weitere Höhepunkte. Er richtete sich auf, er preßte seine Handflächen zusammen und rief aus: Das ist es, Bruder. Wir müssen etwas Großes tun. Etwas wahrhaft Großes! Was gibt es schon Größeres als dies? fragte der Sheikh desinteressiert. Wir müssen unseren Freund Hadji Wali bekehren. Er weiß nicht, wie man das Leben genießt. Was für eine drollige Idee, bemerkte der Sheikh. Kennst du etwa ein lohnenderes Opfer? Nein! Der Bashibazuk war resolut. Es muß Hadji Wali sein, kein anderer. Wir werden ihm das Saufen lehren wie das Einmaleins. Er wird es uns danken, wenn es ihm so gut wie uns geht. Wieso denn nicht, torkelte es Sheikh Abdullah durch den Kopf, beiseiner Figur, wer weiß, vielleicht ist er bereit, ein Konvertit inkognito, vielleicht wartet er nur auf eine Einladung. Auf unsere Einladung. Er stand auf und erklärte mit übervoller Würde,

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