Der Weltensammler: Roman (German Edition)
er werde Hadji Wali holen.
Der Händler hatte sich bereits zur Nachtruhe begeben. Er wunderte sich über den strengen Geruch, der seinem jüngeren Freund anhaftete, und auch über die Überraschung, die der indische Arzt ihm versprach, mit kindlicher Begeisterung in der Stimme. Widerwillig folgte er ihm, zum Zimmer von Ali Agha, das er noch nie betreten hatte. Der Bashibazuk sprang auf, packte ihn an den Schultern, drückte ihn auf eines der Sitzkissen nieder. Schon hielt er einen Becher in der Hand, schon war der Becher voll, und zu seinem Entsetzen begriff Hadji Wali, daß der Offizier ihm Alkohol reichte. Er stieß das Angebot angewidert weg. Der Bashibazuk zog beleidigte Grimassen und beharrte auf seiner Einladung. Hadji Wali weigerte sich standhaft. Ali Agha setzte eine Fratze der Verachtung auf und führte den Becher an seine Lippen. Er verschlang den Inhalt, leckte sich nachdrücklich die Lippen, zwang seinem Gast eine Wasserpfeife auf und sammelte sich zum nächsten Angriff. Der Hadji protestierte vergeblich, er habe ein Leben lang diese Sünde vermieden, er versprach, am nächsten Tag mit ihnen zu trinken, er drohte mit der Polizei, er zitierte den Koran. Kaum war er ans Ende der beschworenen Sure angelangt, holte Ali Agha tief Luft. Sünde ist Sünde, und morgen ist morgen, aber was im Koran steht, das weiß ich auch, und dazu noch besser. Er schleuderte seine Arme nach vorne, so als streue er Gaben unter die Anwesenden. Der Koran, dozierte er selbstbewußt wie ein Alim von der Al-Azhar-Universität, sitzt einige Male über Alkohol zu Gericht. Dreimal. Der Albaner suchte drei Finger zusammen und hielt dann seine Hand hoch. Und alle drei Male wird etwas anderes gesagt. Wieso? Das erste Mal: Gott warnt vor zuviel Saufen. Wir fragen uns: wann war das? Das war, bevor er zu Abend gegessen hat. Das zweite Mal: Gott hat zu Abend gegessen, Gott hat … nun, er hat etwas gebechert, es geht ihm nicht ganz so gut, also empfiehlt er uns streng … überhaupt nicht … zu saufen. Das nimmt sich jeder vor, der nicht vertragen kann, was er intus hat. Dann, das dritte Mal: Gott verbietet dasSaufen, völlig … ratzeputz, und wann war das, meine Brüder? Das war am nächsten Morgen, als Gott mit einem schrecklichen Kater aufgewacht ist. Ha! Wieso beachtest du also die Regeln eines Verkaterten, noch bevor du selber einen einzigen Schluck probiert hast?
Ehe Ali Agha, der von seiner eigenen Geschichte völlig eingenommen war, die Pointe gesetzt hatte, war Hadji Wali aufgesprungen, er lief aus dem Zimmer, ohne Rücksicht auf Verluste – er ließ sein Käppi, seine Pantoffeln und seine Pfeife zurück. Der Bashibazuk traute sich eine Verfolgung nicht zu. Statt dessen begann er, Parfüm auf Käppi, Pantoffel und Pfeife zu träufeln und den Händler einen Maulesel zu schimpfen, in mehr Sprachen, als ihm geläufig waren. Er lud seinen ehrenwerteren Gast ein, das restliche Abendessen nicht zu vergeuden, und sie bedienten sich einträglich an der Suppe und an dem Rauchfleisch und halfen der Verdauung mit einer weiteren Wasserpfeife nach. Ein sanfter Friede setzte ein, der neuerlich vom Bashibazuk sabotiert wurde. Aus unsicherem Stegreif verkündete er dramatisch, er sehne sich nach schönen Tänzerinnen, nach etwas Schauspiel, um seine Augen zu beglücken. Das ist in den Wakalahs verboten, sagte Sheikh Abdullah. Wer, schrie Ali Agha empört, wer hat es verboten? Der Pascha selbst, antwortete der Sheikh, der Pascha in seiner ganzen Weisheit. Wenn es ist, wie du sagst, erklärte Ali Agha feierlich, während seine Finger seinen flattrigen Schnurrbart zu zwei aufgerichteten Nadeln zwirbelten, dann wird der Pascha selbst für uns tanzen müssen. Und er stürzte hinaus.
Sheikh Abdullah stöhnte und richtete sich auf. Der Abend geriet außer Kontrolle. Dies ist deine letzte Chance, drängt ihn eine benebelte innere Stimme. Kehre in dein Zimmer zurück, schließe die Tür ab und lege dich schlafen. Aber der Teufel schlägt in die Kerben, und der Sheikh redete sich ein, dem Bashibazuk in seiner Verwirrung zur Seite stehen zu müssen, und so folgte er ihm durch die Galerie, zog ihn von der Balustrade weg, beschwor ihn, mit Worten und einem festen Griff an seinem knüseligen roten Fustan, er möge in sein Zimmer zurückkehren. Aber Ali Agha hörte auf ihn so wenig, wie er auf eine Ehefrau hören würde. Er nahm Anstoß an den freudlosen Ratschlägen,seine Wut wuchs. Er schlug um sich, wie ein blinder Faustkämpfer, er traf nur Luft, immer
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