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Der Weltensammler: Roman (German Edition)

Der Weltensammler: Roman (German Edition)

Titel: Der Weltensammler: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilija Trojanow
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zu gewinnen, aber die Zeit lieferte nur Bedenken. Er konnte ihr kein Kind versprechen. Einige harmlose Fragen nach Appetit und Verdauung bescherten ihm weiteren Aufschub. Die Schuldzuweisungen einer fremden Ehe gingen ihn nichts an, nicht einmal als Arzt. Wie sollte er eine Zusicherung von solcher Tragweite abgeben? Sie sind gehemmt, Sheikh, unterbrach sie seine Gedanken, in greifbarer Ferne. Sie müssen mich richtig untersuchen, es geht um mehr als nur um mein Leben. Ich weiß, Ihnen ist unwohl dabei, aber ich bitte Sie, überwinden Sie sich, untersuchenSie mich. Ihre Schwester kniete sich neben ihr nieder und begann sie auszuziehen. Und wenn es Sie zu sehr behindert, legen Sie das Gerät ab. In Notfällen dürfen wir die Regeln mißachten, nicht wahr? Und sie sah ihn mit einem Blick an, in dem er gerne stundenlang gelesen hätte. Er sah ihren Bauch, hell und leicht gerundet. Die Schwester ergriff seine Hand und legte sie auf den Nabel. Er sah seine Hand durch das Okular, als würde sie zu einem anatomischen Stilleben gehören. Er traute sich nicht, sie zu bewegen. Die Haut war kühl und samten. Wie erwartet. Mit Erschrecken nahm er seine Erregung wahr. Ob etwas unter seiner Gellabiya zu erkennen war? Er konnte nicht mit dem Kaleidoskop in der Hand an sich selbst hinabblicken. Die Peinlichkeit. Sie würde sich noch weiter ausziehen, und er, er würde auf ihr Leid nur mit triebhafter Lust reagieren können. Er mußte verschwinden. Er zog seine Hand zurück. Verzeihen Sie mir, ich muß gehen. Beide Schwestern blickten ihn erstaunt an. Er stand schon, ließ das Kaleidoskop fallen, blickte zur Tür. Es hat nichts mit Ihnen zu tun, verzeihen Sie mir. Schon war er an der Tür. Ich habe keine Entschuldigung. Warten Sie, rief die ältere Schwester. Wenn es so nicht geht, Sie können auch die Augenbinde abnehmen. Der Arzt riß die Tür auf und eilte hinaus. Er entfernte sich mit dem Geschmack der eigenen Unzulänglichkeit auf der Zunge.
     
     
     
    Im Monat von Muharram des Jahres 1273
    Möge Gott uns seine Gunst und Gnade erfahren lassen
     
    SHARIF: Wir danken dem Gouverneur für seine Einladung. Wahrlich, diese Angelegenheit, wir können es nicht anders ausdrücken, als daß sie von einer Bedeutung ist, die unser Augenmerk, unser aller Augenmerk in allerhöchstem Maße erfordern dürfte.
    GOUVERNEUR: Bevor wir uns mit ihr befassen, vielleicht sollten wir zuerst, solange wir noch bei wachem Verstand sind, die Abrechnung der Naib al-Haram vornehmen.
    KADI: Selbstverständlich, selbstverständlich. Das Geläufige vor demUngewissen. Heute morgen haben der Sharif und ich alle Rechnungen der Wächter der Kaaba überprüft. Die Einnahmen sind gestiegen, Gott sei gedankt, um zwölf von hundert.
    SHARIF: In diesem Schriftstück hier ist die Zahl der Beutel, die wir in diesem Jahr nach Istanbul schicken werden, vermerkt, und wir überreichen Ihnen wie üblich alle betreffenden Dokumente, nicht nur die abschließende Bilanz, auch die Aufschlüsselung aller Einnahmen, aller festen Kosten, aller unerwarteten Ausgaben, Renovierungen und alles weitere, was mir im Augenblick nicht einfällt, wie gewünscht, damit nicht der Verdacht einer Unregelmäßigkeit auf uns fällt, die offene Abrechnung, so wie Sie sie eingeführt haben.
    GOUVERNEUR: Hervorragend. Auf die Eunuchen scheint Verlaß zu sein. Erfreulich, unsere Zusammenarbeit in diesem Bereich, wirklich erfreulich.
    KADI: Erfreulich für Sie, schließlich zahlen wir. Sie haben Anlaß zur Zufriedenheit, und uns bleibt die Pflicht zur Freude.
    SHARIF: Der Kadi meint …
    GOUVERNEUR: Ich verstehe wohl, was der geschätzte Kadi meint. Er übersieht, wie teuer uns die heiligen Stätten zu stehen kommen. Ihr Schutz kostet uns jährlich soviel wie ein Feldzug, und in diesem Jahr, da wir einen kostspieligen Krieg zu führen haben, ist die Finanzlage des Kalifats auf das äußerste angespannt.
    SHARIF: Wundervolle Erfolge, das muß ich sagen, auf dem Schlachtfeld, unsere Gebete sind erhört worden, wir haben die Ungläubigen in die Schranken gewiesen.
    KADI: Vortrefflich. Allerdings ist mir zu Ohren gekommen, die Siege gegen Moskau seien vor allem den britischen und französischen Armeen zu verdanken.
    SHARIF: Und Gott dem Allmächtigen …
    KADI: Sei gedankt.
    SHARIF: Um so mehr Grund, den Frieden zu schätzen, der bei uns herrscht.
    GOUVERNEUR: Der Kadi ist zu jung, um sich an die grimmigen Zeiten zu erinnern, als wir nicht den gleichen Schutz gewähren konnten wie heute. Als vierzigtausend

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