Der Weltensammler: Roman (German Edition)
Harnisch, die mit jedem Schritt im Sand versinken. Sie müssen von einem Ufer zum anderen marschieren. Sie werden von den Aalen, die in der Strömung schwingen, verspottet. Sie sind verflucht, sie können nicht ankommen und nicht heimkehren. Deswegen sind die Strömungen in diesen Buchten so gefährlich. Deswegen sind die Tiefen in diesem Gewässer so unruhig. Deswegen hört der Wind zwischen diesen zwei Ufern nie auf, seine schwarzen Flügel zu schlagen. Fürchtet euch nicht. Denn Gott, der tun und lassen kann, wie es ihm beliebt, wahrlich, er ist der beste aller Hüter, der beste aller Helfer, er hat uns jemanden geschickt, der auf alle Reisenden und auf alle Seemänner in diesen gefährlichen Gewässern aufpaßt. Es ist der heilige Abu Zulaymah, ihr wißt alle von ihm. Aber wißt ihr auch, daß er in einer der Höhlen des Berges hinter mir sitzt? Dort wird für ihn gesorgt, zur Belohnung für seine guten Taten wird ihm Kaffee serviert, nicht irgendein Kaffee, sondern Kaffee aus den heiligen Stätten, leuchtendgrüne Vögel tragen in ihren Schnäbeln Bohnen aus Mekka zu ihm, Zucker aus Medina, und im Flug zwischen den beiden heiligen Städten und seiner Höhle dort in der felsigen Wand hinter mir schreiben diese Vögel den gesamten Glorreichen Koran in den Himmel, und der Kaffee wird ihm zubereitet von den willigen Händen von Engeln, die sich an nichts mehr erfreuen, als wenn Abu Zulaymah sie um eine weitere Tasse bittet. Deswegen vergeßt nicht, heute nacht auch ein Gebet an Abu Zulaymah zu richten, damit wir weiterhin auf Erden wandeln können und nicht auf dem sandigen Grund dieses düsteren Meeres. Es gibt weder Macht noch Kraft außer bei Gott, dem Erhabenen, dem Allmächtigen.
Der Tag erwacht über einem zusammengekauerten Haufen Menschheit. Er richtet sich auf; sie haben sich abwechselnd ausgestreckt, ihm sind die späten Stunden zugefallen. Zum ersten Mal fragt er sich, ob er nicht einen Fehler begangen habe. Eine unbequeme schlaflose Nacht bringt Zweifel mit sich. Mohammed, neben ihm, hält seine Knie umklammert, sein Kopf liegt auf der Brust, seine Augen befreit von jeglicher Überheblichkeit. Seit gestern ist er ihm ein wenig ans Herz gewachsen. Hamid liegt an der hölzernen Schiffsreling. Sheikh Abdullah begreift nicht, wie er es geschafft hat, im Laufe der Nacht dorthin zu kriechen, trotz der vielen, die im Wege liegen. Er leidet, offensichtlich, an einem verdorbenen Magen; er lehnt sich immer wieder über die Reling. Es sind nur einzelne, die dem Morgengebet treu bleiben. Allen anderen ist es Mühsal genug, den Kopf zu heben und mißtrauisch dem Tag ins Gesicht zu sehen, das voller böser Vorahnung ist.
Zu Mittag ist die Sonne sengend, die Matrosen geben ihre Positionen auf und flüchten sich in die schmalen Schatten der Masten. Der Wind, wenn er aufkommt, wirft ihnen das Glühen der Küstenfelsen entgegen. Alle Farbe schmilzt dahin, vererbt dem Himmel ein Leichentuch, und das Meer spiegelt eine glatte Ermattung wider. Der Horizont scheint der Strich zu sein, unter dem Bilanz gezogen wird. Die Kinder haben keine Kraft mehr zu schreien. Neben Sheikh Abdullah, auf dem Achterdeck, ein türkischer Säugling, der still in den Armen seiner Mutter liegt, sich seit Stunden nicht bewegt hat. Er bespricht sich mit den anderen. Sie können das Kleine nicht vor ihren Augen verenden lassen. Ein syrischer Pilger holt eine Scheibe Brot heraus, die er in seinen Teebecher tunkt. Die Mutter schiebt das durchtränkte Stückchen ihrem Kind in den Mund. Hamid reicht ihr einige getrocknete Früchte, und Omar bietet ihr einen Granatapfel an, den er schält und aufbricht. Die Mutter öffnet den Mund ihres Kleinen, Omar lehnt sich vor und drückt die Frucht aus. Einzelne Tropfen fallen hinab auf die zuckende Zunge, dann ein roter Strahl, es ist zuviel, es rinnt dem Säugling aus dem Mundwinkel und über das Kinn. Wenig später lächelt der Kleine zum ersten Mal, mit einem blutroten Mund, und Sheikh Abdullah findet Trost in der Zärtlichkeit, die sich auf dem Gesicht von Omar widerspiegelt.
Wie viele solcher Tage und Nächte werden sie überleben können? Die Pilger, die sich noch aufrichten können, überzeugen den Kapitän, am Abend nahe der Küste zu ankern, so daß sie am Strand nächtigen können. Als Sheikh Abdullah zum Strand watet, tritt er auf etwas Scharfes, er verspürt einen stechenden Schmerz in seinem Zeh. Er setzt sich hin, das Licht ist eine einzige Liebeserklärung, er untersucht die Wunde und
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