Der Weltensammler: Roman (German Edition)
Glaubens erreicht hat. Ich habe in Al-Azhar gelernt, und manches davon war selbst mir nicht bekannt.
KADI: Ein Semester in Al-Azhar macht noch keinen Alim.
OMAR: Was ich weiß, was ich damals wußte, das reicht aus, um ohne jeden Zweifel zu behaupten, daß Sheikh Abdullah nicht nur ein wahrhaft Gläubiger war, sondern auch ein sehr gelehrter und ehrenwerter Moslem. Das läßt sich von diesem Mohammed nicht behaupten. Fragen Sie Sheikh Hamid al-Samman, mit dem sollten Sie unbedingt sprechen, ein hochgeachteter Bürger Medinas. Fragen Sie ihn, seine Empörung kannte keine Grenzen.
HAMID: Mohammed? Der junge Mohammed, ja, wie könnte ich ihn vergessen. Ein von Natur aus gehässiger Mensch. Trotz seiner Jugend. Alleweil suchte er das Schlechte im Menschen. Er war wie das Kamel, das den Buckel des Dromedars bekrittelt. Wir alle wußten, wie bewandert Sheikh Abdullah war – ein Mann des gründlichen Wissens. Wieso sollte er nicht ein Gerät besitzen, das uns nicht bekannt war? Der Vorwurf war lachhaft, ich habe keinen Augenblick daran geglaubt. Das Licht des Islam scheint in diesem Menschen, sagte ich. Das ist für jeden deutlich zu spüren, der das Licht wahrnehmen kann. Leider hat dies nicht ausgereicht, den jungen Mohammed zum Schweigen zu bringen – er war bissig wie ein Kojote. Er besaß die Frechheit, mir gegenüber zu verkünden, wer die Gebete nicht einhalte, der sei kaum in der Lage, das Licht des Glaubens zu erkennen. Das war zuviel, ich hätte meine Hand gegen ihn erhoben, wenn die anderen mich nicht zurückgehalten hätten.
Warten, wie in einer Ewigkeit der Qual. Die Abfahrt war für den frühen Vormittag angekündigt worden – zu Mittag stach die Sonnealle offenen Augen aus. Die gehievten, die geschleppten, die gezogenen, die mit Flüchen überladenen Kisten besetzten den Strand, bildeten kleine Wehrketten, hinter denen sich die Reisenden verschanzten, die sich bis zum heiseren Ende jeder Zahlungsaufforderung verweigern würden. Was die Krämer von Suez nur allzu genau wußten, weswegen sie zahlreich angetreten waren und sich zielstrebig Wege durch die Menge bahnten, begleitet von Sklaven und Dienern, die einschüchternd bewaffnet waren. Die Krämer hielten vor den Reisenden, die ihnen noch etwas schuldeten für die Waren, die sie schon eingepackt und verschnürt hatten, während in ihrem Streitschatten Diebe auf die Gelegenheit lauerten, sich unbeaufsichtigtes Gut anzueignen.
Sheikh Abdullah stand hinter einem Haufen von Kisten, Säcken und Wasserschläuchen. Der Diener von Salih Shakkar, dessen Hilfe just zu dieser Stunde benötigt wurde, war zum Basar gegangen, seinen eigenen Angelegenheiten zu frönen, und Salih murmelte nachtragend, wie wenig weise es sei, sich gütig und großzügig zu geben. Sie vertrieben sich die Zeit damit, das Schiff zu betrachten, das sie aufnehmen und nach Yanbu bringen sollte. Etwa fünfzig Tonnen schwer, schätzte Sheikh Abdullah, der Hauptmast erheblich größer als der Besanmast. Ohne daß ein Zeichen zum Aufbruch erfolgt wäre, bewegte sich auf einmal alles. Jeder eilte ans Wasser. Saad hatte eines der Boote fest am Bug gepackt, und der Bootsmann traute sich keine Widerworte, so als hielte ihn dieser gewaltige schwarze Mann am Kragen fest. Sie waren trotzdem nicht die ersten, die das Schiff erreichten. Es besaß nur ein kleines, erhöhtes Achterdeck, neben der einzigen Kabine, die schon von einem Dutzend Frauen und Kinder besetzt war. Sie drängten sich durch das Gewühl im Rumpf und kletterten auf das Achterdeck. Die Diener hievten die Truhen hinauf und blieben im Rumpf zurück. Oben war gerade genug Platz für die Herren. Innerhalb der nächsten Stunden kamen mehr Passagiere an Bord, als der Kapitän angekündigt hatte, mehr, als sein Boot fassen konnte.
Kaum hatte Sheikh Abdullah den Gedanken ausgesprochen, daß gewiß kein weiterer Reisender Platz finden würde, kam eine Gruppe Maghrebiner an Bord, große Männer mit schweren Gliedern, vorwurfsvollenBlicken und brüllenden Stimmen, und alle schwer bewaffnet. Sie trugen weder Kopfschutz noch Schuhwerk. Sie forderten Platz im Schiffsrumpf ein, von den Türken und Syrern, die sich dort schon eingerichtet hatten. Bald schlug jeder um sich und kratzte und biß, trampelte und trat gegen die anderen. Der Rumpf war ein Kessel, in dem die Wut einkochte.
Der Eigentümer des Bootes verkündete, er habe Verständnis für die mißliche Lage der Reisenden, daher biete er jedem von ihnen an, das Schiff gegen
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