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Der Weltensammler: Roman (German Edition)

Der Weltensammler: Roman (German Edition)

Titel: Der Weltensammler: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilija Trojanow
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Vorsichtsmaßnahme zu mißachten. Die Schrift nahm lateinische Form an, und manchmal notierte er etwas bei Tageslicht, unauffällig auf dem Rücken des Dromedars, einen Papierstreifen in seiner Handfläche versteckt. Was schreiben Sie auf, Sheikh, mitten in der Wüste? Hamid hatte heimlich sein Dromedar von hinten herangetrieben. Ach, mein Freund, ich halte eine weitere Schuld fest. Damit wir am Tag der Rückzahlung nicht in Verlegenheit geraten. Ein Mann wie Sie, sagte Hamid, bevor er sich wieder entfernte, findet für alles seinen eigenen Nutzen.
    Auf Reisen wie dieser war jeder oft allein mit sich selbst und mit seinem Dromedar, diesem mürrischen, widerspenstigen Tier, dessen einzige freundliche Geste aus einem gelegentlichen Furz bestand. Sheikh Abdullah feindete sich umgehend mit seinem Dromedar an, das seinem Ruf als geduldigem Wesen widersprach. Es war bösartig, unbeherrschbar, manchmal sogar gefährlich. Es mißtraute allem Unbekannten, und die Laute, die es von sich gab, ob dasschnaubende Stöhnen oder das teils wehleidige, teils verdrießliche Blöken, waren unerträglich. Es beschwerte sich über jedes Kilo, das ihm aufgeladen wurde. Am ersten Abend richtete Sheikh Abdullah einige abfällige Bemerkungen über das Reittier an den Tiertreiber. Sie können doch gut mit Menschen umgehen, Sheikh, antwortete ihm dieser, Dromedare sind nicht anders als Menschen. Wenn sie jung sind, wissen sie nicht, wie sie sich zu benehmen haben. Als Erwachsene sind sie gewalttätig und unkontrollierbar, in der Brunftzeit, da wittert das Männchen ein williges Weibchen aus zehn Kilometer Entfernung, da wird es bockig, seine Zunge bibbert. Und mit dem Alter werden sie zänkisch, rachsüchtig und verdrossen.
    Schüsse erklangen – das Tal, das sie durchquerten, war für einen Hinterhalt wie geschaffen. Beduinen, dreckige Köter. Mohammed duckte sich, Sheikh Abdullah erwiderte das Feuer. Nein! Der Tiertreiber schrie ihn an. Wenn wir einen dieser Banditen töten, wird sich der ganze Stamm gegen uns verbünden und die Karawane angreifen, bevor wir Medina erreichen können. Das würde unser aller Ende bedeuten. Die anderen schießen doch auch, sagte der Sheikh. Nur in die Luft, nur in die Luft, damit der Rauch uns etwas Deckung gibt. Verdammtes Land, auf den Kopf gestellte Gerechtigkeit. Und der Sheikh lud nach, schoß weiter, ohne zu zielen. Bald darauf verklangen die Schüsse. Sie erreichten Shuhada, den Ort der Märtyrer. Es fehlten einige Dromedare und einige Lasttiere. Was für eine magere Beute, für die zwölf Menschenleben verschwendet worden waren, zwölf Männer, die schnell beerdigt werden mußten, bevor sie weiterziehen konnten.
     
     
     
    Solange die Karawane in Bewegung war, mußte er auf sein Gepäck nicht achten, denn die Tiertreiber übernahmen alle Verantwortung. Doch im Nachtlager mußte jeder selbst auf seine Wertsachen aufpassen, und es dauerte nicht lange, bis die ersten heimtückischen Angriffe auf ihr Eigentum erfolgten. Es waren die Tiertreiber selber, Hüter bei Tage, Diebe bei Nacht. Diese Ochsen von Ochsen – Mohammed bestand darauf, die erste Wache zu übernehmen –,diese Söhne der Flucht, ach, ihre Hände sollen absterben, ihre Finger erlahmen. Mohammed hielt sich mit Flüchen wach. Ihr Helden mit fauligen Schnurrbärten, ihr niedrigsten unter allen Arabern, die jemals einen Zeltpflock eingeschlagen haben. Wahrlich, ihr schürft aus den Minen der Niedertracht! Am frühen Morgen blickten die Tiertreiber ihn bitterböse an und murmelten: Bei Gott! Und bei Gott! Und bei Gott! Junge, wenn du uns alleine in die Hände fällst in der Wüste, wir werden dich auspeitschen wie einen Hund. Solange die Sonne schien, achtete Mohammed darauf, daß sein Dromedar dem Schatten der Tiere von Sheikh Abdullah und Saad, dem Dämon, nicht entglitt.
    Am zweiten Abend fiel Sheikh Abdullah die Wache zu. Er löste seinen Verband. Die Schmerzen waren so heftig, er wollte die Infektion ins Feuer halten. Vielleicht würde ein nasser Verband, von Teeblättern durchtränkt, Linderung verschaffen. Er mußte sich ablenken, irgendwie, und sei es auch nur mit dem Benennen der Sterne, die lateinischen Namen zuerst, dann die englischen. Bald würden sie das fabelhafte Medina erreichen. Stadt der Zuflucht, verteidigt von Ammenmärchen, von Ungeheuern, Amazonen mit Ziegenhufen, Zyklopen, die in ihrer Besessenheit so manche geologische Verwerfung verursacht haben. Einmal in Medina angekommen, der Heimat – binsenbekannt – aller

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