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Der Weltensammler: Roman (German Edition)

Der Weltensammler: Roman (German Edition)

Titel: Der Weltensammler: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilija Trojanow
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zieht einen Splitter heraus. Vielleicht ist er auf einen Seeigel getreten. Er gräbt sich eine Wanne in den weichen Sand. Das Schiff, das vor seinen Augen ankert, ist überwunden, zumindest für eine Nacht.
     
     
     
    Im Monat von Jumada’l-Ula des Jahres 1273
    Möge Gott uns seine Gunst und Gnade erfahren lassen
     
    GOUVERNEUR: Wir haben Fortschritte erzielt.
    KADI: Beachtliche. Soll ich zusammenfassen: Sheikh Abdullah ist ohne Zweifel der britische Offizier Richard Burton, ein gelehrter Mann, vielleicht ein Moslem, vielleicht ein Shia, vielleicht ein Sufi, vielleicht aber auch nur ein Lügner, der sich als dieses und jenes ausgab, um die Hadj zu unternehmen, mit welcher Absicht auch immer. Gewiß, wir wissen mehr als zu Beginn, aber was ist dieses Wissen wert?
    GOUVERNEUR: Sagen Sie mir, die Frage hat mich von Anfang an beschäftigt: Halten Sie es für möglich, daß ein Mensch monatelang vortäuschen kann, ein Gläubiger zu sein?
    KADI: Der Rubin und die Koralle haben die gleiche Farbe. Eine Kette, auf der sie gemischt sind, besteht scheinbar gänzlich aus Edelsteinen.
    GOUVERNEUR: Es gibt bestimmt eine Möglichkeit, sie zu unterscheiden.
    KADI: An der Tönung könnte ich sie auseinanderhalten. Dazu müßte ich sie freilich genau betrachten, aus nächster Nähe.
    GOUVERNEUR: Mit einer Lupe?
    KADI: Am besten mit einer Lupe.
    SHARIF: Der Christ ist die Koralle?
    KADI: Nein, der Nichtgläubige.
    SHARIF: Das meine ich.
    KADI: Ein großer Unterschied. Ich denke, dieser Mann steht außerhalb des Glaubens. Nicht nur unseres Glaubens. Das erlaubt ihm, hinzugehen, wohin sein Wille ihn treibt. Ohne Gewissensbisse. Er kann sich an dem Glauben anderer bedienen, er kann annehmen und verwerfen, auflesen und weglegen, wie es ihm beliebt, als wäre er auf einem Marktplatz. Als wären die Mauern, die uns umgeben, weggefallen, als stünden wir draußen auf einer endlosen Ebene und hätten Sicht in alle Richtungen. Und weil er an alles und an nichts glaubt, kann er sich, zumindest dem Äußeren nach, nicht aber in der Festigkeit, in jeden Edelstein verwandeln.
    GOUVERNEUR: Das hört sich fast an, als würden Sie ihn beneiden?
     
     
     
    Die Zeit des Schachers. Um jedes Dromedar herum Männer. Flache, ausgestreckte Hände. Die Schatten zusammengedrückt, als müßten sie in den Truhen Platz finden. Gespannte Seile. Sie sind angekommen im Heiligen Land. Gestalten in Weiß und Gestalten in Schwarz. Aufgerichtet, auf Fersen gehockt. Sie schlürfen Tee, zwischen den Abdrücken im Sand von Hufen und Geduld. Der unmarkierte Eingang zur Wüste. Sein geschwollener Zeh, ein hinderlicher Schmerz, den er ignorieren muß. Ein Junge, der ihm Süßigkeiten anbietet. Mohammed, der seine Nützlichkeit beweist. Seit dem Sonnenaufgang verharren sie im achtsamen Nichtstun. Tauschen Nachrichten aus. Reden und reden. Das Geschäft, das sich anbahnt, kommt am Rande zur Sprache. Wie unbeabsichtigt. Erwartungen werden abgesteckt, erste Vorschläge auf den Sand gelegt. Der Junge, der seine braunen, verkrusteten Süßigkeiten erneut anbietet. Sie einigen sich auf drei Dromedare, auf einen deftigen Preis. Die Tiertreiber sind allesamt Diebe und Räuber, flüstert Mohammed ihm zu. Das Dromedar befolgt nur ihren Befehl, und sie erkennen keine anderen Herren an. Wieder der Junge mit den Süßigkeiten. Er kauft ihm drei Stück ab und bezahlt mit großzügiger Münze. Der Jungegrinst, als wolle er sagen: Ich habe gewußt, daß du schließlich nachgeben wirst. Der Zeitpunkt des Aufbruchs wird vereinbart und der Abschied in eine respektvolle Länge gezogen. Tags darauf sind sie wieder unterwegs.
     
     
     
    Es erregte Aufmerksamkeit, wenn er etwas zu Papier brachte. Wenn er Argwohn vermeiden wollte, durfte er sich nicht mit einem Stift in der Hand überraschen lassen. Er mußte sich zurückziehen zum Schreiben. In Kairo ein leichtes, auf der Reise jedoch gab es selten Möglichkeit zum Rückzug. In Gegenwart anderer zu schreiben, der Beduinen insbesondere, war nur ratsam, wenn er vorgab, ein Horoskop oder eine Zauberformel zu formulieren, Fähigkeiten, die von einem Derwisch erwartet wurden.
    Anfänglich hatte er seine Notizen, die unverfänglichen wie auch die geheimen, zwar auf englisch, aber in arabischer Schrift verfaßt. Bevor er seine Eindrücke in das Notizbuch übertrug, vergewisserte er sich zunächst, daß ihn niemand beobachtete. Mit der Zeit, seines Ansehens sicher und im Gefühl, über jeden Verdacht erhaben zu sein, begann er, diese

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