Der Weltensammler: Roman (German Edition)
die reine Armseligkeit – seine Füße kamenohne Schuhwerk aus, sein einziges Gewand war ein verdreckter Kasack, dessen ursprünglich ockerbraune Farbe nur zu erkennen war, wenn der Kragen umgestülpt wurde. Um keine sauberen Kleidungsstücke auspacken zu müssen, ließ er die Gebete ausfallen. Seine Augenbrauen wellten sich, wenn die Rede auf Alkohol kam, seine Mundwinkel verrieten jedoch eine geheime Vorliebe. Er rauchte bevorzugt den Tabak der anderen; in seinen Taschen klimperten drei Piaster, und er schien sich sogar vorstellen zu können, sie auszugeben. Omar Effendi hingegen war völlig mittellos, obwohl er der Enkel des Mufti von Medina und der Sohn eines Offiziers war, der den Begleitschutz der Karawane nach Mekka befehligt hatte. Er glich seine vorübergehende Armut mit einem festen Guthaben an Vorurteilen und Abneigungen aus, leise und gesetzt vorgetragen, als seien sie wohlbedacht und gerecht bemessen. Saad, der nicht von seiner Seite wich, erwies sich als ehemaliger Sklave, Diener, Befehlsempfänger und jetziger Geschäftspartner seines Vaters. Er war von ihm mit der Aufgabe betraut worden, den flüchtigen Sohn heimzuholen, und er verfügte über ausreichende Mittel, seinen Schutzbefohlenen zu versorgen. Für seine eigenen Bedürfnisse verfuhr er streng nach dem Prinzip: Sei großzügig beim Leihen, knauserig beim Zurückzahlen. Es war sein erklärtes Ziel, kostenlos zu reisen, und er kam seinem Ideal beachtlich nahe. Wegen seiner dunklen Hautfarbe wurde er Al-Dschinni, der Dämon, genannt. Gekleidet in ein einfaches Baumwollhemd, lag er meistens ausgestreckt auf seinen zwei Kisten, die vor allem edle Stoffe enthielten, für sich und seine drei Frauen in Medina. Neben ihm hatte der zierliche Salih sein Lager bereitet. Er nutzte es ausgiebig, denn er mißtraute jeglicher körperlicher Betätigung. Im Liegen war seine Würde gewahrt. Als halber Türke richtete er sich nach der Mode in Istanbul, ob er sich in Suez, Yanbu oder irgendeinem anderen staubigen Loch des Kalifats befand. Wenn er sprach, dann nur von sich selbst, so als sei er ein Vorbild für alle anderen, die ihm in Herkunft, Geschmack, Bildung und nicht zu vergessen Hautfarbe – seiner ungewöhnlich hellen Haut sprach er fast magische Kräfte zu – unterlegen waren. Wie auch in Gier und Geiz. Bevor er seine Hand ausstreckte, sprach er: Der Großzügige ist Gottes Freund, und mag er ansonsten noch so ein Sündersein. Und wenn ihm keine Gabe zuteil wurde, bemerkte er: Der Geizhals ist Gottes Feind, und mag er ansonsten der reinste Heilige sein.
Im Monat von Rabi al-Akhir des Jahres 1273
Möge Gott uns seine Gunst und Gnade erfahren lassen
OMAR: Dieser verzogene Wechselbalg. Die Überheblichkeit Mekkas wucherte in seinem Herzen. Hat sich aufgeplustert, hat großspurig erklärt, er, Mohammed al-Basyuni, habe überwältigende Beweise, daß Sheikh Abdullah ein Betrüger sei. Schlimmer noch: ein Ungläubiger. Wir waren bestürzt. Was für Beweise? fragten wir ihn. Er zeigte uns ein Gerät, aus Metall, das er aus der Kiste des Sheikhs entwendet hatte. Mit diesem Gerät werden Entfernungen gemessen. Wozu braucht ein Derwisch so ein Gerät? Wir schwiegen, wir dachten nach. Ich hoffe, daß alle so gründlich nachgedacht haben, wie ich es tat. Mir wurde klar, wie haltlos, wie unverschämt die Anschuldigungen dieses Halbwüchsigen waren. Sheikh Abdullah war ein Mann, der Respekt gebot und Respekt erhielt. Obwohl wir ihn erst seit einigen Tagen kannten, hatten wir seine Güte schon kennenlernen dürfen.
GOUVERNEUR: Würdest du sagen, daß er ein großzügiger Mann war?
OMAR: Oh ja, gewiß.
SHARIF: Haben Sie von seiner Großzügigkeit profitiert?
OMAR: Ach, die ganze Welt gewinnt, wenn ein Mensch sich großmütig zeigt.
GOUVERNEUR: Die Welt interessiert uns nicht, in diesem Fall, sondern Omar Effendi und seine Beziehung zu diesem Sheikh Abdullah. Also, was hat er dir gegeben?
OMAR: Gegeben? Nein, nur ein Darlehen, das mein Vater ihm in Medina zurückgezahlt hat. Glauben Sie etwa, unser Respekt habe daher gerührt? Er war ein gelehrter Mann, das hat ihn für uns kostbar gemacht. Ich weiß nicht, ob er ein Alim war, aber er war in vielem kundig. Erst kurz vor diesem Vorfall hatte er mir einenseiner Briefe an seinen Lehrer in Kairo gezeigt, damit ich ihn korrigiere, ein gelehrtes Schreiben, in dem er um Rat hinsichtlich einiger schwieriger Fragen des Glaubens bat, Fragen, die nur demjenigen einfallen, der eine höhere Ebene des
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