Der Weltensammler: Roman (German Edition)
angeboten bekommen, machte schon der erste Freund der Familie seine Aufwartung. Hamid schien ein beliebter Mann zu sein. Ein Strom von Besuchern floß durch sein Haus, und ein jeder von ihnen genoß es, mit dem Sheikh aus Hindustan zu plaudern. Die Gespräche hätten den ganzen Tag eingewickelt, hätte Sheikh Abdullah nicht zu einer Taktlosigkeit gegriffen und nachdrücklich seinen Hunger und seine Müdigkeit erklärt, worauf seinGastgeber gezwungen war, die Besucher zu verabschieden, ein Bett zu bereiten und den Raum zu verdunkeln. Endlich, dachte Sheikh Abdullah, ein weiches Bett, endlich allein. Bald darauf hörte er in der Ferne weibliche Ausrufe der Begeisterung. Vielleicht war sein rüdes Verhalten seinem Gastgeber nicht unwillkommen gewesen, der nun endlich Muße hatte, seine Kisten aufzuschließen und seine Mitbringsel zu verteilen.
Er ist ausgeruht, er hat sich erfrischt, und er hat gegessen. Es gibt keinen Grund mehr, den Besuch der Moschee des Propheten hinauszuzögern. Es ist Nacht, und nachts ist sie – laut Hamid – am schönsten. Sie bilden, kaum daß sie aus dem Haus getreten sind, eine kleine Gruppe; sie erreichen die Moschee des Propheten in einer dichten Menge. Es wird zum Nachtgebet gerufen. Das Hasten erstarrt, das Gewühl findet zu der einen, der einzigen Öffnung, durch die es in ein anderes Reich rinnen kann. Jeder Pilger nimmt Position ein, jeder sucht die rechte Haltung zu den Brüdern, die ihn umgeben. Eigentlich ist es gar nicht seine Art, freiwillig Teil einer größeren Ordnung zu sein. Nur beim Gebet, da verhält es sich anders. Schon deswegen fühlt er sich nicht als Schwindler. Kaum haben sich alle Pilger aufgereiht, die Füße in gerader Linie, weicht die gedämpfte Vielstimmigkeit einer Stille, in der die Erde innezuhalten scheint, bevor sie von der einsamen Stimme des Imams auf eine andere Umlaufbahn gestoßen wird. Aus der Ruhe schwingt sich sein Singsang hinauf und eröffnet über ihren Köpfen das Gebet. Bevor Sheikh Abdullah seine Stirn zum Boden senkt, fällt sein Blick auf die Sohlen eines Unbekannten, keine Handbreit vor ihm. Jeder verbeugt sich vor Gott, doch unmittelbar hinter den rauhen, aufgeplatzten Sohlen seiner Mitmenschen.
Im Monat von Rajab des Jahres 1273
Möge Gott uns seine Gunst und Gnade erfahren lassen
HAMID: Jeder von Ihnen hätte diesen Mann als seinen Gast empfangen. Jeder von Ihnen hätte ihm sein Haus geöffnet. Er wurde von allen geschätzt. Selbst meine Mutter, deren Urteil selten wohlwollend ausfällt, pries sein Feingefühl.
KADI: Was ist leichter, als eine Frau zu betrügen.
HAMID: Nicht in meinem Haus. Meine Mutter riecht die Lüge. Sie behauptet, sie stinke wie alte Milch. Wenn Sie mein Wort anzweifeln, ich werde Ihnen ein weiteres Beispiel geben, das wird Sie überzeugen. In Medina erfuhren wir, daß Sheikh Abdullah den rechten Glauben mit seinem Schwert verteidigt hat. In seinem eigenen Land. Bei den Gefechten hat er sogar einige Ajami getötet. Deswegen mied er den Umgang mit ihnen. Er wollte sich nicht der Gefahr der Rache aussetzen.
GOUVERNEUR: Wie haben Sie denn das erfahren?
HAMID: Alle wußten es, alle, die ihn kannten.
GOUVERNEUR: Diese Kunde konnte nur von ihm selbst stammen, oder etwa nicht?
HAMID: Sie haben recht. Keiner kannte ihn aus dem Hindustan. Aber ich selbst habe es nicht von ihm erfahren. Außerdem, er war ein bescheidener Mann, er hätte sich mit so etwas nicht gebrüstet.
SHARIF: Was also ließ Sie dieser Geschichte Glauben schenken?
HAMID: Er war ein Krieger, wenn es die Situation erforderte. Außerdem, als wir von seinen Heldentaten erfuhren, haben wir alle angeboten, an seiner Seite zu stehen, sollte er angegriffen werden, und er hat unser Angebot dankbar angenommen. Hätte er so viel Freude und Erleichterung gezeigt, wenn er nichts zu befürchten gehabt hätte? Nein! Sie haben ihn nicht gekannt. Er war ein Fels von einem Mann, und er wußte zu kämpfen. Gott sei gedankt, daß er unser Freund war.
KADI: Sie danken Gott für Ihre eigene Leichtgläubigkeit.
SHARIF: Wir sollten nicht zu rasch urteilen, wahrlich, wir sind diesem Mann nicht begegnet, und wir können nicht wissen, wie erauf seine Begleiter gewirkt hat. Vielleicht war es seine Ausstrahlung?
HAMID: Das Licht des Glaubens, ich sagte es Ihnen schon, nichts anderes.
GOUVERNEUR: Sie können davon nichts wissen, weil Sie sein Buch nicht gelesen haben, aber dieser britische Offizier, er urteilt viel und gerne, er urteilt
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