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Der Weltensammler: Roman (German Edition)

Der Weltensammler: Roman (German Edition)

Titel: Der Weltensammler: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilija Trojanow
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Palmen einfache Palmen –, will er an der Ekstase teilhaben. Nicht das Offensichtliche ist bewegend, sondern die Zeichen, die ein jeder von ihnen mit seinem inneren Auge erkennt, kein unscheinbares Städtchen, eine kleine Oase inmitten der Öde, sie sehen nicht al-Madinah – die Stadt –, sie erfassen die ganze Größe des Glaubens, die Quelle, den Ursprung. Und auch er blickt zur Ruhmreichen hinab, und auch seine Schreie erklingen zwischen denFelsen, und obwohl er nicht weint, wie manch ein anderer Pilger, umarmt er Saad heftig, versinkt in den Armen dieses riesigen Mannes und murmelt ehrliche Worte der Dankbarkeit. Das größte Glück auf Erden, sagt Saad, das größte Glück auf Erden. Lange Minuten bleibt er auf dem Kamm stehen, einer im Einen, aufgehoben in der festlichen Brüderschaft, begründet durch den Anblick von Medina, und wenn ihn jetzt jemand nach seiner Zugehörigkeit fragen würde, er würde inbrünstig das erste Glaubensbekenntnis deklamieren. Ohne eine Einschränkung, wie sie ihm Minuten später durch den Kopf schießt: Warte, du bist nicht einer von ihnen. Wieso jubelst du? Natürlich bin ich einer von ihnen. Du mußt beobachten. Ich will Anteil nehmen. Die Reisenden ziehen weiter, die Serpentinen hinab, und seine Augen beginnen durch den Zauber zu stoßen, sie überfliegen das Städtchen, sie sezieren es, und er prägt sich alles ein, die Topographie, die Mauer, die Hauptgebäude, das rechteckige Tor, das Bab Ambari, durch das sie Medina betreten werden, und als er Pause macht von der strengen Betrachtung, stellt er fest, daß seine Hochstimmung verflogen ist.
     
     
     
    Viele der Einwohner Medinas waren herausgekommen, um die Karawane zu begrüßen. Die meisten Reisenden gingen zu Fuß, so konnten sie Verwandte und Freunde begrüßen, umarmen, küssen. Niemand verheimlichte seine Freude. Es war nicht die Stunde der Selbstbeherrschung. Die Daheimgebliebenen bombardierten die Heimkehrer mit Fragen. Antworten wurden jetzt noch nicht erwartet. Sie ritten zusammen, als Gruppe, und wurden immer wieder auseinandergerissen. Hamid al-Samman war nicht unter ihnen. Er war vorausgeritten, um das Wiedersehen mit seiner Frau und seinen Kindern alleine auszukosten, um das Haus für seinen Besucher vorzubereiten. Er hatte sich durchgesetzt, nach langen Abenden des Beratschlagens, in denen gelegentlich Streit aufflackerte. Sheikh Abdullah würde sein Gast sein. Omar hatte auf die Dankbarkeit hingewiesen, die sein Vater dem großzügigen Helfer seines Sohnes gewiß würde erweisen wollen. Saad hatte ihm beigepflichtet und hinzugefügt,wenn es eines zweiten Hauses bedürfe, wenn der Sheikh sich völlig zurückziehen wolle, sein bescheidenes Domizil stehe auch zur Verfügung. Hamid aber ließ nichts davon gelten, er beanspruchte das Recht, den Sheikh zu beherbergen, für sich und ließ sich dieses Recht nicht nehmen. Sie passierten das Bab Ambari und schritten eine breite, staubige Straße hinunter. Omar und Saad nahmen Sheikh Abdullah in ihre Mitte. Sie gingen davon aus, er wünsche den Namen jedes Winkels von Medina zu erfahren. Das Harat Al-Ambariyah in dem Viertel Manakhah. Die Brücke über den Bach Al-Sayh. Der offene Platz Barr al-Manakhah. Geradeaus das Bab al-Misri, das ägyptische Tor, zur Rechten jedoch, nur wenige Schritte entfernt, das Haus von Hamid al-Samman. Die Dromedare knieten nieder, die Reisenden staubten sich ab, ein Mann trat aus dem Haus, ein eleganter Herr, den sie kaum wiedererkannten. Hamid hatte sich rasiert, frisiert, die zwei Enden seines Schnurrbarts zu Kommas gezwirbelt und sein Ziegenbärtchen zugespitzt zu einem Ausrufezeichen. Er hatte einen Musselinturban aufgesetzt, er war gekleidet in mehrere Schichten Seide und Baumwolle. Seine Füße waren mit leichten Lederslippern überzogen und diese in festeren Pantoffeln untergebracht, die in Farbe und Schnitt der neuesten Mode aus Stambul folgten. Er war wie verwandelt. Und der Tabaksbeutel, der an seinem Gürtel hing, war nicht nur goldverziert, sondern auch prall gefüllt. Offensichtlich war Hamid al-Samman, ein abgerissener Bettler auf Reisen, ein stolzer Gebieter im eigenen Heim. Auch seine Manieren waren wie verwandelt. An die Stelle des Vulgären und Lauten war dosierte Courtoisie getreten. Er nahm seinen Gast an der Hand und führte ihn in den Empfangsraum. Die Pfeifen waren gefüllt, die Diwans ausgelegt, der Kaffee köchelte in einer Kohlenpfanne. Kaum hatte Sheikh Abdullah Platz genommen und einen Kaffee und eine Pfeife

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