Der Weltensammler: Roman (German Edition)
wiederholen, ich werde Ihnen keine Antwort geben können. Ich weiß es nicht!
GOUVERNEUR: Wird so im Basar von Medina geredet?
HAMID: Nicht, daß ich wüßte.
GOUVERNEUR: Haben Sie Freunde oder Bekannte …?
HAMID: Es ist nicht ausgeschlossen, daß einer der Besucher in meinem Haus eine solche Meinung geäußert hat. In meiner Abwesenheit. Es gibt so viele verschiedene Meinungen in Medina, keiner kann sie alle im Ohr behalten.
SHARIF: Aber sagen Sie uns, wir sind einander freundschaftlich gesinnt, denke ich, wird eine solche oder eine ähnliche Einschätzung von vielen vertreten?
KADI: Sie können ehrlich sein, Sie haben sich nichts vorzuwerfen.
GOUVERNEUR: Sie stehen nicht unter Anklage.
HAMID: Nun, wenn ich offen sprechen soll – in unserer Stadt waren die Türken nie beliebt. Früher aber wurden sie immerhin respektiert.
Erschöpft ist Sheikh Abdullah zu Bett gegangen. Nicht ausgelaugt, eher übersättigt. Er hat seinen Gastgeber gebeten, ihn am nächsten Morgen nicht zu wecken.
Der Lärm, der ihn weckt, kann nicht von dem Städtchen stammen, das er am Tag zuvor kennengelernt hat. Er öffnet die Augen widerwillig und zaghaft die Holzjalousie. Über Nacht sind Bagdad, Istanbul oder Kairo hinzugezogen. Der angrenzende Platz, die ehemals staubige, gähnende Leere, ist dicht besetzt mit Zelten, Lasten, Menschen und Tieren – wie von einem buntscheckigen Kelim bedeckt. Die Zelte sind aufgereiht, so ordentlich wie Pilger beim Gebet, in langen Reihen, wo der Verkehr durchfließen muß, und zusammengeballt an den Ecken, wo kein Durchgang nötig ist. Aus runden Zelten treten entspannte Männer, Kinder sausen zwischen rechteckigen Zelten, Lasten werden verschoben auf unsichtbaren Rücken. Wandelnde Verkäufer bieten Sorbets an und Tabak, Wasserträger und Obsthändler streiten um die Kunden. Schafe und Ziegen werden durch die Reihen schnaubender, den Staub aufwühlender Pferde getrieben, an Dromedaren vorbei, die auf der Stelle treten. Eine Gruppe alter Sheikhs besetzt die letzte verbliebene Freifläche mit einem Kriegstanz. Einige von ihnen entladen ihre Gewehre in die Luft oder schießen in den Boden, gefährlich nahe den flinken Füßen der anderen, die ihre Schwerter schwingen, die ihre langen, mit Straußenfedern verzierten Speere in die Höhe schleudern, ohne Rücksicht darauf zu nehmen, wo sie landen. Das Rankenwerk verschiebt sich immer wieder, während er am Fenster steht und den Anblick zu skizzieren versucht. Diener suchen ihre Herren, Herren suchen ihre Zelte. Den Erhabenen wird ein Weg durch die dichte Menge gebahnt, von Trupps, die ihren Warnrufen Schläge folgen lassen. Frauen toben, weil ihre Sänften angerempelt werden. Schwerter blitzen auf im Sonnenlicht, die Messingglocken der Zelte erklingen. Von der Zitadelle kracht ein Kanonenschuß. Über Nacht ist die große Karawane aus Damaskus angekommen.
Einer nach dem anderen schlossen sie sich dem Ausritt zu den Märtyrern an. Zuerst sollte Hamid mit einigen Verwandten Sheikh Abdullah begleiten, doch Mohammed ließ sich nicht abschütteln, Salih langweilte sich in der Provinz, und Omar wünschte die Gesellschaft von Sheikh Abdullah ein weiteres Mal zu genießen, also hatte auch Saad einen guten Grund mitzukommen. Es würde der letzte gemeinsame Ritt sein. Am nächsten Tag, so wußten sie, würde die Karawane nach Mekka aufbrechen, und mit ihr der fremde Sheikh. Auf Schleichwegen verließen sie die Stadt, um den Tentakeln der Karawane zu entgehen. Zum Jabal Ohud. Zum Fuße des Berges. Wo die große Schlacht verlorenging. Hamid ritt mit seinen Verwandten voraus, sie hatten noch einiges nachzuholen. Wann ist deine Hochzeit, Omar? fragte Sheikh Abdullah. Ich habe meinem Vater die Idee ausgeredet. Er hat erkannt, fügte Saad hinzu, was für einen vorteilhaften Einfluß Al-Azhar auf seinen unsteten Sohn ausgeübt hat, er hat beschlossen, ihn nach Kairo zurückzuschicken. Diesmal aber nicht als Bettelstudent. Wenn du lernen willst, dann komm doch nach Mekka, sagte Mohammed. Das ist nicht weit genug entfernt von den Stimmungswechseln seines Vaters. Lachend näherten sie sich dem Schlachtfeld. Hinter ihnen die Stadt, vom Staub benebelt, sie wirkte aus dieser Entfernung wie eine Festung. Nur Hochmütige würden sie verlassen, um den Kampf auf offenem Feld zu suchen. Zumal in Unterzahl. Eines der Dromedare blökte, scharrte mit den Hufen. Hamid und die Seinigen waren stehengeblieben.
Hier, genau hier, und er deutete aufgeregt auf
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